„Aufgrund ihres, durch das Seherchor bestätigte,
Schuldeingeständnisses verurteilt dieses Gericht Sie im Namen aller Bewohner
Mesas, für die brutale Vergewaltigung und Ermordung von Magret Holler, Allin
Graßmann, Katherina Kagerbauer, Ella Koninck, Christina Nirsch, Elena Fischer,
den Geschwistern Christa und Madelena Egginger, Agnes Aigner“, er holt langsam
Luft, „Dorothea Sailer, Allin Zeintl und Anna Benz hiermit zum Tode und zur ewigen
Hölle im Reiche des Gottes der Sünde!“
Der Hammer schlägt
auf und die Menge jubelt. Frenetischer Applaus füllt den Saal. Sie brüllen
ihren Hass heraus, auf den Mörder ihrer Enkel, Töchter, Cousinen, Ehefrauen,
Geliebten und Schwestern. Selbst die unter ihnen, die nie einem der Opfer
begegneten, schreien ihren Hass heraus. Doch das alles ist dem Verurteilten
egal. Wie seit Beginn des wochenlangen Prozesses sitzt er einfach nur da und
schaut ins Leere, bis ihn zwei der Wachen packen und wegschleppen. Es sind
keine Paladine oder Wächter wie bei vielen anderen Schwerverbrechern. Nein,
dieser Mann ist weder magiebegabt noch mit irgendeiner höheren Macht im Bunde.
Tatsächlich wäre er nicht einmal eine Gefahr für die beiden Wachen wenn sie ihn
von den zwei massiven Stahlketten befreien würden.
Und so wandern diese Drei in Stille durch die Mauern des
Justizturmes, von der Halle der Anklage hinunter in die Halle der Toten. Zwei
kurze Worte von den beiden Torwachen und ein unsichtbarer Mechanismus öffnet
die massiven Eisentore. Die starren Augen des Verurteilten liegen nun auf der
riesigen Halle hinter den Toren. Weit über 300 Leichen füllen den Raum, alle
noch angekettet und durchbohrt mit einem oder mehreren Schwertern, stumme
Zeugen der letzten Stunde dieser Männer, Frauen, Wandlern, Riesen und anderen
Bestien. Weit über die Hälfte der Schwerter sind bereits durch Rost kurz vor
dem Zerfall. Kein Wunder, es geschieht sehr selten das jemand zu einer so hohen
Strafe verurteilt wird.
Die Drei nähern sich ihrem Ziel, dem Ende dieser langen und
grotesken Reihe an Mördern. An seinen Platz gebracht drücken die beiden Wachen
ihn nieder und sowohl seine Arme als auch seine Füße werden angekettet. Der von
den Wachen erwartete Wiederstand bleibt aus. Der Ältere zieht seine Klinge,
kein besonderes Prunkstück, wie es wohl viele der anderen Schwerter in dieser
Halle sind.
„Noch ein paar
letzte Worte?“, fragt ihn der Ältere.
Keine Antwort.
„Gut, Leide!“ und
mit diesem letzten Wort stößt er zu und die Welt wird dunkel.
Schmerz, unendlicher
Schmerz, Ich spüre nichts als Qual und Leid.
„Wer bist du?“
Es ist unerträglich, meine Füße fühlen sich
an als würden sie verbrennen.
„Wer bist du?“
meine Hände fühlen sich an als werden sie
mir abgerissen. Oh Gott dieser Schmerz. Ich kann nicht klar denken.
„WER BIST DU?“
Schmerzerfüllt
versucht er seine Augen zu öffnen und starrt in das Antlitz eines Menschens? Nein, das ist kein Mensch. Augen,
Augenbrauen, Nase und ein Mund. Sonst nichts, keine Unebenheiten, absolut
nichts, er ist perfekt….ein Gott.
„Richtig du
Abschaum, doch ich bin nicht nur ein Gott.“ Er packt ihn an der Kehle und hebt
ihn mühelos hoch. In seinen Augenwinkeln sieht er zum ersten Mal wo sie stehen.
Sie befinden sich am Rande einer weiten kargen Ebene. In der Ferne schleppen
gewaltige und missgestaltete Sklaven riesige Steine in Richtung der einzig
sichtbaren Stadt. Keine zwanzig Meter entfernt breitet sich ein riesiger weiter
See aus. In dem schwachen Licht der zwei halb verdeckten Sonnen wirkt er
vollkommen Schwarz. „Ich bin Nefas, der Gott der Sünde! Dies ist mein Reich.
Hier leiden die abartigsten Wesen eurer verfluchten Welt und nun sag mir“, er
schleudert ihn so heftig auf den Boden das jeder Sklave auf der Ebene seine
Knochen splittern hört, „was macht ein Unschuldiger in meinen Reich?“
Der junge Mann
windet sich vor Schmerz, er würgt und kotzt seine Henkersmahlzeit, inklusive
Teile seiner Eingeweide heraus. In dieser Welt gibt es keinen Tod, keine süße
Ohnmacht, nur ewige Schmerzen. „M, mein kleiner Bruder. Er war es, er ist, ist
vom rechten Weg abgekommen. Er hat diese Dinge mit den armen Frauen getan,
diese unaussprechlichen Dinge.“ Er beginnt zu weinen. „Erst habe ich es nicht
bemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimmt oder vielleicht wollte ich es auch
einfach nicht wahrhaben, aber dann kahmen die Gardisten und stellten Fragen. Da
begriff ich was mein Bruder getan hatte. Ich habe versucht ihn aufzuhalten,
damit er kein neues Opfer finden würde. Aber ich habe versagt, wieder einmal.“
Inzwischen weint und schluchzt er unerträglich.
„Und dann hast du
seine Schuld auf dich genommen und behauptet du hättest sie alle getötet? Und
wurdest deswegen auf ewig an mein Reich gefesselt? Wie dumm und jämmerlich.“
Ein gegurgeltes
Lachen kommt aus der Kehle des Mannes „Ja, vermutlich. Ich war nie als
sonderlich schlau verschrien.“
Langsam schüttelt
der Gott seinen Kopf. Sein makelloses langes Haar schwingt von einer Seite zur
nächsten. „Was soll ich nur mit dir machen? Du bist kein Sünder, dein Leid gibt
mir nicht was ich will. Du bist auch nicht stark, damit du mir als Slave dienen
könntest. Nein, du bist einfach nur unschuldig. Unschuldig, ja.“ Schweigend
blickt der Herr des Leids hinaus auf die schwarze See. „Ja, keiner der anderen
Götter könnte Einspruch darüber erheben das ein Unschuldiger sich in der Sphäre
der Menschen bewegen würde. Du könntest dort für mich ernten. Ja das würde mir
gefallen.“
„Ernten?“, gibt der
Mann vollkommen verunsichert von sich.
„Seelen. Du wirst
in die Sphäre der Menschen gehen und mir jede Seele von jedem Sünder dem du
begegnest überbringen. Ausnahmslos.“
Vollkommen panisch
versucht der Mann mit seinen gebrochenen Gliedern davon zu robben. „Nein,
niemals, das will ich nicht!“
„Als ob du eine
Wahl hättest, du bist an mein Reich, meine Sphäre und damit an mich gebunden!“
Auf einen unsichtbaren Befehl hin packen zwei der Sklaven den Mann. Der eine
ein bis auf die Unkenntlichkeit hin verkrüppelter Riese und der andere ein
ebenso starker wie verkrüppelter Mensch. Er hat keine Chance.
„So, jetzt müssen
wir dich nur noch in deren Sphäre bekommen. Mh, das Problem ist, du bist an
meine Sphäre gebunden. Du müsstest also etwas mitnehmen. Etwas Umfassendes.“
Wieder blickt er in die schwarze See. „Ja, du wirst sie mitnehmen“, sagt er
während er auf die See zeigt.
Der Mann folgt dem
Fingerzeig. „Das Wasser?“
Nefas lacht.
„Wasser? Ach du dummer Mensch. Das sind die Überreste meiner gebrochenen
Sklaven. Ihre Seelen, gefüllt mit all ihrem Leid und ihrer Qual. Du hast ja
schließlich begriffen das ihr diese Welt nicht verlassen könnt, egal wie sehr
ich euch zermalme, oder? Dort werfe ich eure Reste rein.“
„Nein, nein,
Neeeein!“, er wehrt sich mit all seiner Kraft. Er zieht und reißt an seinen
Armen damit er sie losbekommt.
Doch vergebens, die
Sklaven schleifen ihn mit. Runter von der Ebene, hin zu einen tieferen Ort, wo
sie ihn anketten. Entsetzt starrt er nach oben auf eine Rinne.
„Eigentlich ist
dieser Ort für schwere Bestrafungen gedacht. Die Schotten werden kurz geöffnet
und die Sklaven bekommen ein paar Tropfen des ‚Wassers‘ ab. Aber für deinen
Fall müssen die Schotten ein ‚wenig‘ länger geöffnet werden“
Wieder auf ein
unsichtbares Signal hin steigt der menschliche Sklave hoch und dreht an einem
Ventil. Erst langsam und dann immer schneller und schneller. Die Schotten
öffnen sich und quälend langsam fließt die dickflüssige Substanz in der Rinne
hinunter, bis die ersten Tropfen den Mann treffen und dann … Schmerz.
Die Schmerzen und
Qualen von hunderttausenden Wesen fließen zusammen in diese eine arme Seele und
sie schreit. Oh, sie schreit so heftig, jeder Sklave in der Sphäre hört sie und
wird von ihrem Schmerz erfasst.
Das Ventil wird geschlossen, die Schotten schließen und der
Fluss versiegt. Der Gott steht vor ihm und blickt auf sein Werk herab.
„Steh auf!“
Und so geschieht
es. Das Wesen erhebt sich, die Ketten zerfallen. Er steht vor ihm, gewachsen
und nun leicht größer als Nefas selbst. Ein Wesen vollkommen in Schwarz
gehüllt. Eine makellose Rüstung, keinerlei Unebenheiten, keine Scharniere und
kein Visier. Einzig eine kleinere Einbuchtung deutet auf den Standort seiner
nun blinden Augen hin.
„Ja, perfekt,
makellos! Jetzt geh, töte jeden Sünder den du siehst und bring mir ihre Seelen!
Dein Schwert wird dich in ihrer Sphäre erwarten.“
Aus den Tiefen der
Rüstung erklingt seine Antwort: „Wie ihr befiehlt Gebieter.“
Die Welt um ihn herum zerbricht, die Existenz zerbröckelt
und eine neue formt sich. Wieder in der alten Halle. Sein Blick wandert nach
links und er erblickt die bekannten Gesichter der Toten an denen er vorbei
gewandert ist. Doch es ist der blinde Blick nach rechts, der ihn erstarren
lässt. Die Reihe geht weiter, über vierzig neue Leichen sind dort aufgereiht.
Wie viele Jahre sind vergangen?
Das Echo seines neuen
Meisters erklingt in seinem Kopf: „Etwa hundert Jahre hat es gedauert deine
Rüstung zu schmieden. Es ist selten, dass ich so viele Jahre meiner kostbaren
Zeit für ein so niederes Wesen wie dich vergeude, du solltest dich glücklich
schätzen.“
Hundert Jahre? Mein Bruder. Was ist mit
meinem Bruder geschehen?
„Mhm, zwei Jahre
nachdem du hingerichtet wurdest hat er es wieder getan.“
Nein.
„Er hat die jüngste
Tochter des Dorfältesten abgeschlachtet, in dessen Dorf du ihn versteckt
hattest. Sehr dankbar der Kleine. Leider haben sie ihn schnell entlarvt und ihn
auf dem Dorfplatz öffentlich ausgeweidet. Sie haben ihn mir nicht einmal
geopfert. Was für eine Verschwendung. Für ihn hätte ich eine gute Verwendung
gehabt. Nun gut, jetzt nimm deine Waffe und erfüll deine Aufgabe!“
Mein kleiner Bruder … Es tut mir leid, ich
habe wieder versagt.
Langsam erhebt er
sich und die Ketten zerbrechen. Er blickt hinab auf das Schwert was nun aus
seiner schwarzen Rüstung herausragt. Die Klinge ist verrostet und es sind
bereits Teile herausgebrochen. Doch das wird genügen. Er packt den Griff und
zieht die Klinge mit einen Ruck heraus. Makellos blitzt die Rüstung auf in der
Finsternis, auch dort wo eben noch das Schwert war.
Von den Lärm
aufgeschreckt kommen zwei der Torwachen angerannt und blicken entsetzt auf die
riesige gerüstete Gestalt vor ihnen. Vollkommen in Schwarz gehüllt, einzig und
allein die graue rostige Klinge in seiner Hand hebt sich von ihr ab. Sie
wandert vollkommen unbeeindruckt von dem ihr entgegen gereckten Schwertes der
ersten Wache weiter. Die Klinge streift einfach über die Rüstung ohne einen
Schaden zu hinterlassen. Erst vor der zweiten Wache bleibt der Gerüstete stehen
und seine tiefe und monotone Stimme erklingt: „Du hast deine Frau vergewaltigt,
Sünder.“
Und mit diesen
Worten reißt er sein rostiges Schwert hoch und schlägt die Wache entzwei.
Noch während die
andere Wache versucht zu begreifen was gerade geschehen ist, beginnt der tote
Leib seines Kameraden zu zucken. Langsam aber stetig wabert ein gelb-weißer
Dunst aus der Leiche hoch in die rostige Klinge.
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„Dieses in Schwarz gerüstete Wesen wurde als der Schwarze
Ritter bekannt. Er existierte knapp vierhundert Jahre in dieser Welt und tötete
in dieser Zeit tausende Menschen. Alle waren es ausnahmslos Kinder der Sünde,
Menschen die die drei großen Sünden begangen haben: Töte ein geliebtes Wesen,
Schände ein Leben und ernähre dich von den Menschen. Nie verletzte er auch nur
einen Unschuldigen. Dies war vermutlich auch der Grund warum keiner der Wächter
sich jemals gegen ihn wandte. Seine Existenz hat viele Dinge in dieser Welt
verändert. So war er es, der die Schrecken im Mesaschen Adel offenbarte und auch
wenn seine Taten niemals eine Inspiration seien sollten, kann man doch davon
ausgehen, der schwarze Orden ist aus seinem Vorbild heraus entstanden.
Wahrlich man kann behaupten sein Erwachen hat die Welt
verändert. Doch es war sein Fall, der absolut alles auf den Kopf stellte.“ –
Zitat aus „Götterfall“
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