Samstag, 2. März 2013

DK 20 Selbsthass


 „Wie konntest du das tun?“ Catherine blickt ihn entsetzt an. „Sie waren deine Freunde! Ihr habt zusammen gefeuert, habt zusammen geweint und gelacht. Sam, wieso?“
   „Ich hatte keine andere Wahl.“
   Sie ist verwirrt. „Keine andere Wahl? Du hast sie abgeschlachtet!“, brüllt sie ihn an. „Jeden verdammten Augenblick lang hättest du aufhören können. Aber nein, du hast weitergemacht und jeden getötet der sich dir in den Weg gestellt hat … Selbst die Kleinen. Was sollen die dir denn getan haben?“, mit Abscheu sieht sie ihn an. „Marek hatte Recht. Du bist zu einen Monster geworden, zu einem Dämon!“

   Samarus legt den Kopf schief. „Wenn du es sagst.“
   Catherine beginnt zu weinen. „Dabei wollte ich doch nur ein schönes Leben mit dir verbringen. Warum nur hast du meinen Bruder sterben lassen? Wie konntest du das meinen Vater nur antun? Das waren seine Kinder. Er hat jeden einzelnen von ihnen abgöttisch geliebt!“ Sie wirkt verzweifelt.
   Langsam bewegt sich Samarus auf sie zu. „Es tut mir leid.“
   „Nein. Nein, das tut es nicht.“
   Er grinst. „Ja, da hast du wohl wieder einmal recht.“
   „Was hast du vor?“
   „Ich erfülle mein Versprechen dir gegenüber.“
   Erschrocken reißt sie ihre Augen auf. Ein Husten erschüttert ihren Körper und ganz langsam fließt ein kleines Blutrinnsal aus ihrem Mundwinkel. Ungelenk wankt sie zurück und betrachtet die mit Blut verschmierte pechschwarze Klinge in der Hand ihres einstigen Geliebten. Erstaunt sieht sie ihn an, während sich die blutrote Blüte auf ihrer Brust weiter ausbreitet.

Vollkommen panisch reißt er die Laken zur Seite und schnappt nach Luft. Es vergeht ein Moment, bis er begreift wo er eigentlich ist.
   Ein Traum. Catherine, bitte, ich wollte das wirklich nicht. Er blickt hinab auf seine Hände. Ich habe befohlen, niemand vergreift sich an den Unschuldigen. Nur kämpfende Drachen, das habe ich ihnen befohlen. Aber sie haben alle abgeschlachtet, egal wie alt er war.
   Zaghaft klopft es an der Tür. Mühselig schafft er es seine Nerven wieder unter Kontrolle zu bekommen und stößt ein gequältes „Herein“ hervor.
   Vorsichtig tritt eine alte Frau in Dienstmagd-Kleidung ein. Durch jahrelange Erfahrung geübt, balanciert sie ein großes Tablett mit verschiedenen Broten und Aufstrichen in das Zimmer hinein.
   „Wieder der Traum Sir?“
   „Ja, Anna.“
   Sie schüttelt ihren Kopf, wobei sie das Tablett auf den kleinen Tisch neben dem breiten Bett stellt.
   „Sie haben natürlich nicht die Tabletten genommen, die ich ihnen mitgebracht habe oder?“ Ohne auf eine Antwort zu warten fährt sie fort. „Ich sage es ihnen noch einmal. Diese Tabletten wirken wirklich. Meinen Mann und seinem Schwager haben sie vor ihren Schlafstörungen geheilt. Sie sollten sie wirklich nehmen.“
   Müde lächelt er sie an. „Ja, ich werde sie heut Abend einmal ausprobieren“ lügt er.
   Wieso sollte ich sie denn nehmen? Habe ich denn nicht diese Träume verdient? Ich bin schuld an ihrem Tod, wieso sollte ich also ruhig schlafen können? Außerdem … nur so sehe ich sie jede Nacht.
   Traurig sieht sie ihn an. Sie weiß, er wird sie wieder nicht nehmen. „Nun gut. Ein Kurier hat erneut einige Unterlagen von der Akademie vorbeigebracht. Ich habe sie wie immer in ihr Arbeitszimmer gebracht.“
   „Danke Anna.“
   „Kann ich ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein?“
   „Nein, machen sie sich ruhig ihr Frühstück.“
   „Danke Sir. Falls etwas ist, rufen sie ruhig. Guten Appetit.“
   „Danke, ebenso.“
   Lächelnd verlässt sie das Zimmer und schließt die Tür hinter sich.
   Die Akademie. Ja, nach dem Krieg wurde Athera als einzige überlebende Hohemagierin zur Nachfolgerin des Erzmagiers ernannt. Er selbst hatte sich aus Gram zurückgezogen, nachdem er erfahren musste was mit seinen einstigen Studenten passiert war. Am Ende waren es keine fünfzig Stück die überlebt hatten … von über vierhundert.
   Er schüttelt seinen Kopf während er sich langsam ein Brot schmiert.
   Athera befahl daraufhin einen Zusammenschluss mit den Wächtern. Sie würden nur noch Kampfmagier ausbilden. Alles andere hätte keinen Zweck mehr, hat sie gesagt. Mh, der Krieg hat sie wirklich verändert. Ich erinnere mich noch an früher. Sie war eine wirklich sanftmütige Frau. Immer darum bemüht anderen zu helfen und bei Streit war sie immer darum bemüht eine Einigung zu erzielen. Aber jetzt? Sie ist eiskalt und brutal geworden. Insbesondere nachdem sie ihren Arm verloren hat. Selbst ihre Rekruten und Mitausbilder fürchten sich vor ihr. Manche sagen sogar sie würde sich der Blutmagie bedienen, aber das bezweifle ich. Auch wenn sie erstaunlich jung aussieht für ihr Alter …
   Genüsslich beißt er in sein Brot rein.
   Diese Veränderung des Zirkels hatte natürlich auch seine Konsequenzen. Viele Nachwuchsmagier wollten nicht den Wächtern beitreten um unterrichtet zu werden. Wie gut, dass dieser Mister Rasis Hyr aufgetaucht ist … Der ganz zufällig große Ähnlichkeiten mit meinem alten Meister hatte.
   Er schmunzelt.
   Er hat die Akademie gegründet. Ein Ort wo Magier sich einzig und allein um das Studium der Magie kümmern konnten. Er hat sogar mir eine Anstellung gegeben, auch wenn ich mich dagegen gesträubt hatte. Ich soll Forschungsergebnisse überprüfen und bewerten. Pff, Aber ich sollte mich wohl nicht beschweren. Dafür haben sie mir das Haus gestellt und zahlen Annas Gehalt. So habe ich zumindest meine Ruhe.

Nachdem er das letzte Stück verschlungen hat macht er sich träge auf in das benachbarte Badezimmer.
   Es hat sich schon einiges verändert in den letzten fünfzig Jahren.
   Mit traurigen Augen betrachtet er sein leicht verzerrtes Spiegelbild, in dem kleinen Zinnspiegel auf der Anrichte.
   Bis auf dieses Gesicht. Auch wenn die Zauber schon längst abgeklungen sind, sind meine Adern immer noch viel dunkler als gewöhnlich und diese Augen … ich hasse meine Augen. Sie haben zwar ihre alte Farbe wiedergewonnen, aber wie sie mich anstarren … voller Schuld und Leid.
   Langsam greift Samarus zum Rasiermesser.
   Ich sollte es hier und jetzt beenden. Jeden einzelnen Faden zerreißen, der mich an diese verdammte Existenz fesselt.
   Mit aufgerissenen Augen und Kraft im Griff hält er sich das Messer an die Kehle. Leicht ritzt die Haut auf und ein Tropfen Blut fließt seine Kehle hinunter. In diesem Moment kommen die Erinnerungen an seine vorherigen Tode wieder und mit ihnen die enormen Schmerzen, die er bei jedem Male empfunden hatte. Panisch schmeißt er das Messer zur Seite und schafft es gerade noch so, sich an der Anrichte festzuhalten um nicht umzufallen. Düster beginnt er zu lachen.
   Ich schaff es wieder nicht. Es geht einfach nicht. Jeden Morgen das gleiche erbärmliche Spiel.
   Geschlagen schlürft er zum Messer in der Ecke, nimmt es in die Hand und als er wieder an der Anrichte steht, beginnt er sich zu rasieren.

Fertig gewaschen und angezogen verlässt er das Badezimmer und wandert hinüber in Richtung seines Arbeitszimmers im ersten Stock des alten Herrenhauses. Dort angekommen öffnet er die Tür und wird prompt geblendet. Mürrisch schützt er seine Augen mit den Händen ab.
   „Anna. Haben sie die Schiebeläden aufgemacht?“, ruft er den Gang hinunter.
   Sofort taucht der Kopf seiner Haushaltshilfe, aus einem der hinteren Zimmer, auf. „Ja Sir. Es ist selten, die Sonne zu dieser Jahreszeit in  Mesa zu sehen. Das sollte man nutzen.“ Und schon verschwindet ihr Kopf wieder.
   Missmutig schnaubt er. Naja, sie hat aber wohl Recht. Die Sonne zeigt sich wirklich nur ganz selten zur Herbstzeit in Mesa. Im Regelfall regnet es fast nur. Schon seltsam, warum ein Großteil des Adels ausgerechnet hierher gezogen ist. Aber Steinhafen war eh nichtmehr zu retten. Die Stadt war zu über achtzig Prozent verwüstet oder verbrannt. Ohne Meer konnte sie sich unmöglich wieder erholen. Deswegen wurde die Stadt schnell aufgegeben. Die Ärmeren sind in dem Flüchtlingslager Sarida geblieben und der Rest ist nach Norden nach Mesa gewandert. Dort wurde auch der neue Hauptsitzt der Wächter aufgebaut.
   Offiziell wurden alle Flüchtlinge mit Freude aufgenommen, aber im Hintergrund schwelen einige Konflikte. Kein Wunder, Mesa hat nicht annährend so viele Soldaten für den Krieg gestellt, wie sie es hätten machen können. Aber dieser Mist geht mich nichts mehr an. Ich kümmere mich nur noch um meine Arbeit.
   Mit Wucht nimmt er in seinem Arbeitsstuhl Platz, um seinen letzten Gedanken noch einmal Nachdruck zu verleihen. Nachdem er das Siegel aufgerissen hat widmet er sich den Inhalt der Brieftasche.
   Mh, eine Abhandlung über die Unsterblichkeit der Götter und wie sie mit ihren Gläubigen zusammen hängen soll. Das könnte interessant werden.

Ohne es zu bemerken vergeht Glockenschlag um Glockenschlag während er vertieft Seite für Seite durchliest und sich dabei Notizen erstellt. Erst als es klopft wird er sich wieder seinem Umfeld bewusst.
   „Ja, herein.“
   Anna lugt mit ihrem Kopf durch die Tür. „Ich nehme nicht an das sie heute noch herunterkommen um etwas zu essen?“
   „Ich, ähm nein. Ich werde wohl noch den Rest des Tages hier mit den Unterlagen verbringen.“
   Sie schüttelt nur ihren Kopf. Offensichtlich ist sie es bereits so gewöhnt. „Das habe ich mir schon gedacht Sir.“
   Kurz darauf öffnet sie die Tür und bringt einen starken Tee sowie einige Bratenscheiben auf Brot ins Zimmer.
   „Oh, danke Anna. Wenn ich sie nicht hätte.“
   „Dann würden sie wohl verhungern, ich weiß Sir.“ Sie lächelt ihn an, ehe sie das Zimmer wieder verlässt.
   Anna. Ja was würde ich wohl ohne sie machen? Sie regelt fast alles, was mit dem Haus zu tun hat. Sie war immer da. Wie lange arbeitet sie schon für mich? Inzwischen muss es bereits über fünfundvierzig Jahre her sein, als sie mir Rasis Hyr untergejubelt hat. Ich bräuchte ja unbedingt Jemanden, der sich um mein neues großes Haus kümmern könnte. Von wegen, der alte Sack wollte nur jemanden der da ist und sich um mich kümmert. Was vielleicht nicht so schlecht war. Damals war ich noch ein viel größeres Wrack, als ich es heute bin.
   Da hat er mir einfach so dieses junge Ding hingestellt. Keine achtzehn und damit vielleicht halb so alt wie ich es damals war. Aber sie war schon damals äußerst gewissenhaft und hilfsbereit. Anfangs hat man sie teilweise für meine Tochter gehalten, wenn sie nicht gerade ihre Uniform anhatte und inzwischen? Sie könnte meine Mutter oder sogar Großmutter sein. Ihr Faden dünnt immer weiter aus. Dagegen wird mein letzter Faden vielleicht erst in tausend Jahren reißen. Was ist das nur für eine ungerechte Welt?

Erneut klopft es an der Tür.
   „Ist noch etwas?“
   Wieder lugt ihr Kopf durch die Tür, während seiner immer noch über den Unterlagen grübelt.
   „Sir, da ist eine junge Frau in der Empfangshalle und möchte sie unbedingt sprechen.“
   „Schicken sie sie wieder weg. Ich empfange niemanden.“
   „Nun ja, das habe ich ihr auch gesagt. Daraufhin hat sie mir das hier in die Hand gedrückt.“
   Verwirrt dreht sich Samarus um und blickt auf das übergroße Objekt in Annas Händen. Mit jeden Augenblick, der vergeht, weiten sich seine Augen mehr und mehr.
   „Das ist, nein das kann nicht sein. Woher?“ Vollkommen erstaunt geht er immer näher und näher auf sie zu. „Das ist ein Ei. Ein riesiges Ei, das in steinerne Schuppen gehüllt ist. Kann das sein? Ein Drachenei?“ Zaghaft berührt er es, als könnte es unter der kleinsten Berührung zerfallen. „Es, es ist warm. Das kann unmöglich sein. Es lebt!“ Regelrecht erschrocken sieht er Anna an. „Wo ist sie? Wo ist die Frau?“
   „Sir? Sie wartet in der Empfangshalle, hätte ich sie wegschicken sollen?“
   Als hätte ihn was gebissen stürmt er an sie vorbei. „Nein, alles in Ordnung“, bringt er noch kurz hervor, ehe er um die Ecke herum ist. Mit ungewohnter Geschwindigkeit rennt er durch den oberen Gang und kommt erst am Treppengeländer der Empfangshalle zum Stehen. Von dort oben starrt er die Frau an, die mitten in der Halle steht. Sie trägt die typische Kleidung des hohen Adels von Mesa. Dazu einen der weit verbreiteten übergroßen Hüte.
   Durch den Krach aufmerksam geworden, sieht sie zu ihm hoch. Langes braunes Haar umschmeichelt ihre sanften Gesichtszüge. Ihre Augen strahlen feuerrot.
   Seine Gesichtszüge entgleiten ihm vollständig als er ihr Gesicht erblickt. „Catherine.“
   In ihrem Gesicht breitet sich ein überglückliches Lächeln aus.

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