„Wie konntest du
das tun?“ Catherine blickt ihn entsetzt an. „Sie waren deine Freunde! Ihr habt
zusammen gefeuert, habt zusammen geweint und gelacht. Sam, wieso?“
„Ich hatte keine
andere Wahl.“
Sie ist
verwirrt. „Keine andere Wahl? Du hast sie abgeschlachtet!“, brüllt sie ihn an.
„Jeden verdammten Augenblick lang hättest du aufhören können. Aber nein, du
hast weitergemacht und jeden getötet der sich dir in den Weg gestellt hat … Selbst
die Kleinen. Was sollen die dir denn getan haben?“, mit Abscheu sieht sie ihn
an. „Marek hatte Recht. Du bist zu einen Monster geworden, zu einem Dämon!“
Samarus legt den
Kopf schief. „Wenn du es sagst.“
Catherine
beginnt zu weinen. „Dabei wollte ich doch nur ein schönes Leben mit dir
verbringen. Warum nur hast du meinen Bruder sterben lassen? Wie konntest du das
meinen Vater nur antun? Das waren seine Kinder. Er hat jeden einzelnen von
ihnen abgöttisch geliebt!“ Sie wirkt verzweifelt.
Langsam bewegt
sich Samarus auf sie zu. „Es tut mir leid.“
„Nein. Nein, das
tut es nicht.“
Er grinst. „Ja,
da hast du wohl wieder einmal recht.“
„Was hast du
vor?“
„Ich erfülle
mein Versprechen dir gegenüber.“
Erschrocken
reißt sie ihre Augen auf. Ein Husten erschüttert ihren Körper und ganz langsam
fließt ein kleines Blutrinnsal aus ihrem Mundwinkel. Ungelenk wankt sie zurück
und betrachtet die mit Blut verschmierte pechschwarze Klinge in der Hand ihres
einstigen Geliebten. Erstaunt sieht sie ihn an, während sich die blutrote Blüte
auf ihrer Brust weiter ausbreitet.
Vollkommen panisch reißt er die Laken zur Seite und
schnappt nach Luft. Es vergeht ein Moment, bis er begreift wo er eigentlich
ist.
Ein Traum. Catherine, bitte, ich wollte das
wirklich nicht. Er blickt hinab auf seine Hände. Ich habe befohlen, niemand vergreift sich an den Unschuldigen. Nur
kämpfende Drachen, das habe ich ihnen befohlen. Aber sie haben alle
abgeschlachtet, egal wie alt er war.
Zaghaft klopft es an der Tür. Mühselig
schafft er es seine Nerven wieder unter Kontrolle zu bekommen und stößt ein
gequältes „Herein“ hervor.
Vorsichtig tritt
eine alte Frau in Dienstmagd-Kleidung ein. Durch jahrelange Erfahrung geübt,
balanciert sie ein großes Tablett mit verschiedenen Broten und Aufstrichen in
das Zimmer hinein.
„Wieder der
Traum Sir?“
„Ja, Anna.“
Sie schüttelt
ihren Kopf, wobei sie das Tablett auf den kleinen Tisch neben dem breiten Bett
stellt.
„Sie haben
natürlich nicht die Tabletten genommen, die ich ihnen mitgebracht habe oder?“
Ohne auf eine Antwort zu warten fährt sie fort. „Ich sage es ihnen noch einmal.
Diese Tabletten wirken wirklich. Meinen Mann und seinem Schwager haben sie vor
ihren Schlafstörungen geheilt. Sie sollten sie wirklich nehmen.“
Müde lächelt er
sie an. „Ja, ich werde sie heut Abend einmal ausprobieren“ lügt er.
Wieso sollte ich sie denn nehmen? Habe ich
denn nicht diese Träume verdient? Ich bin schuld an ihrem Tod, wieso sollte ich
also ruhig schlafen können? Außerdem … nur so sehe ich sie jede Nacht.
Traurig sieht
sie ihn an. Sie weiß, er wird sie wieder nicht nehmen. „Nun gut. Ein Kurier hat
erneut einige Unterlagen von der Akademie vorbeigebracht. Ich habe sie wie
immer in ihr Arbeitszimmer gebracht.“
„Danke Anna.“
„Kann ich ihnen
sonst noch irgendwie behilflich sein?“
„Nein, machen
sie sich ruhig ihr Frühstück.“
„Danke Sir.
Falls etwas ist, rufen sie ruhig. Guten Appetit.“
„Danke, ebenso.“
Lächelnd
verlässt sie das Zimmer und schließt die Tür hinter sich.
Die Akademie. Ja, nach dem Krieg wurde
Athera als einzige überlebende Hohemagierin zur Nachfolgerin des Erzmagiers
ernannt. Er selbst hatte sich aus Gram zurückgezogen, nachdem er erfahren
musste was mit seinen einstigen Studenten passiert war. Am Ende waren es keine
fünfzig Stück die überlebt hatten … von über vierhundert.
Er schüttelt
seinen Kopf während er sich langsam ein Brot schmiert.
Athera befahl daraufhin einen
Zusammenschluss mit den Wächtern. Sie würden nur noch Kampfmagier ausbilden. Alles
andere hätte keinen Zweck mehr, hat sie gesagt. Mh, der Krieg hat sie wirklich
verändert. Ich erinnere mich noch an früher. Sie war eine wirklich sanftmütige
Frau. Immer darum bemüht anderen zu helfen und bei Streit war sie immer darum
bemüht eine Einigung zu erzielen. Aber jetzt? Sie ist eiskalt und brutal
geworden. Insbesondere nachdem sie ihren Arm verloren hat. Selbst ihre Rekruten
und Mitausbilder fürchten sich vor ihr. Manche sagen sogar sie würde sich der
Blutmagie bedienen, aber das bezweifle ich. Auch wenn sie erstaunlich jung
aussieht für ihr Alter …
Genüsslich beißt
er in sein Brot rein.
Diese Veränderung des Zirkels hatte
natürlich auch seine Konsequenzen. Viele Nachwuchsmagier wollten nicht den
Wächtern beitreten um unterrichtet zu werden. Wie gut, dass dieser Mister Rasis
Hyr aufgetaucht ist … Der ganz zufällig große Ähnlichkeiten mit meinem alten
Meister hatte.
Er schmunzelt.
Er hat die Akademie gegründet. Ein Ort wo
Magier sich einzig und allein um das Studium der Magie kümmern konnten. Er hat
sogar mir eine Anstellung gegeben, auch wenn ich mich dagegen gesträubt hatte.
Ich soll Forschungsergebnisse überprüfen und bewerten. Pff, Aber ich sollte
mich wohl nicht beschweren. Dafür haben sie mir das Haus gestellt und zahlen
Annas Gehalt. So habe ich zumindest meine Ruhe.
Nachdem er das letzte Stück verschlungen hat macht er
sich träge auf in das benachbarte Badezimmer.
Es hat sich schon einiges verändert in den
letzten fünfzig Jahren.
Mit traurigen
Augen betrachtet er sein leicht verzerrtes Spiegelbild, in dem kleinen
Zinnspiegel auf der Anrichte.
Bis auf dieses Gesicht. Auch wenn die Zauber
schon längst abgeklungen sind, sind meine Adern immer noch viel dunkler als
gewöhnlich und diese Augen … ich hasse meine Augen. Sie haben zwar ihre alte
Farbe wiedergewonnen, aber wie sie mich anstarren … voller Schuld und Leid.
Langsam greift
Samarus zum Rasiermesser.
Ich sollte es hier und jetzt beenden. Jeden
einzelnen Faden zerreißen, der mich an diese verdammte Existenz fesselt.
Mit
aufgerissenen Augen und Kraft im Griff hält er sich das Messer an die Kehle.
Leicht ritzt die Haut auf und ein Tropfen Blut fließt seine Kehle hinunter. In
diesem Moment kommen die Erinnerungen an seine vorherigen Tode wieder und mit
ihnen die enormen Schmerzen, die er bei jedem Male empfunden hatte. Panisch
schmeißt er das Messer zur Seite und schafft es gerade noch so, sich an der
Anrichte festzuhalten um nicht umzufallen. Düster beginnt er zu lachen.
Ich schaff es wieder nicht. Es geht einfach
nicht. Jeden Morgen das gleiche erbärmliche Spiel.
Geschlagen schlürft er zum Messer in der
Ecke, nimmt es in die Hand und als er wieder an der Anrichte steht, beginnt er
sich zu rasieren.
Fertig gewaschen und angezogen verlässt er das Badezimmer
und wandert hinüber in Richtung seines Arbeitszimmers im ersten Stock des alten
Herrenhauses. Dort angekommen öffnet er die Tür und wird prompt geblendet.
Mürrisch schützt er seine Augen mit den Händen ab.
„Anna. Haben sie
die Schiebeläden aufgemacht?“, ruft er den Gang hinunter.
Sofort taucht
der Kopf seiner Haushaltshilfe, aus einem der hinteren Zimmer, auf. „Ja Sir. Es
ist selten, die Sonne zu dieser Jahreszeit in
Mesa zu sehen. Das sollte man nutzen.“ Und schon verschwindet ihr Kopf
wieder.
Missmutig
schnaubt er. Naja, sie hat aber wohl
Recht. Die Sonne zeigt sich wirklich nur ganz selten zur Herbstzeit in Mesa. Im
Regelfall regnet es fast nur. Schon seltsam, warum ein Großteil des Adels
ausgerechnet hierher gezogen ist. Aber Steinhafen war eh nichtmehr zu retten.
Die Stadt war zu über achtzig Prozent verwüstet oder verbrannt. Ohne Meer
konnte sie sich unmöglich wieder erholen. Deswegen wurde die Stadt schnell
aufgegeben. Die Ärmeren sind in dem Flüchtlingslager Sarida geblieben und der Rest
ist nach Norden nach Mesa gewandert. Dort wurde auch der neue Hauptsitzt der
Wächter aufgebaut.
Offiziell wurden alle Flüchtlinge mit Freude
aufgenommen, aber im Hintergrund schwelen einige Konflikte. Kein Wunder, Mesa
hat nicht annährend so viele Soldaten für den Krieg gestellt, wie sie es hätten
machen können. Aber dieser Mist geht mich nichts mehr an. Ich kümmere mich nur
noch um meine Arbeit.
Mit Wucht nimmt er in seinem
Arbeitsstuhl Platz, um seinen letzten Gedanken noch einmal Nachdruck zu verleihen.
Nachdem er das Siegel aufgerissen hat widmet er sich den Inhalt der
Brieftasche.
Mh, eine Abhandlung über die Unsterblichkeit
der Götter und wie sie mit ihren Gläubigen zusammen hängen soll. Das könnte
interessant werden.
Ohne es zu bemerken vergeht Glockenschlag um
Glockenschlag während er vertieft Seite für Seite durchliest und sich dabei
Notizen erstellt. Erst als es klopft wird er sich wieder seinem Umfeld bewusst.
„Ja, herein.“
Anna lugt mit
ihrem Kopf durch die Tür. „Ich nehme nicht an das sie heute noch herunterkommen
um etwas zu essen?“
„Ich, ähm nein.
Ich werde wohl noch den Rest des Tages hier mit den Unterlagen verbringen.“
Sie schüttelt
nur ihren Kopf. Offensichtlich ist sie es bereits so gewöhnt. „Das habe ich mir
schon gedacht Sir.“
Kurz darauf
öffnet sie die Tür und bringt einen starken Tee sowie einige Bratenscheiben auf
Brot ins Zimmer.
„Oh, danke Anna.
Wenn ich sie nicht hätte.“
„Dann würden sie
wohl verhungern, ich weiß Sir.“ Sie lächelt ihn an, ehe sie das Zimmer wieder
verlässt.
Anna. Ja was würde ich wohl ohne sie machen?
Sie regelt fast alles, was mit dem Haus zu tun hat. Sie war immer da. Wie lange
arbeitet sie schon für mich? Inzwischen muss es bereits über fünfundvierzig
Jahre her sein, als sie mir Rasis Hyr untergejubelt hat. Ich bräuchte ja
unbedingt Jemanden, der sich um mein neues großes Haus kümmern könnte. Von
wegen, der alte Sack wollte nur jemanden der da ist und sich um mich kümmert.
Was vielleicht nicht so schlecht war. Damals war ich noch ein viel größeres
Wrack, als ich es heute bin.
Da hat er mir einfach so dieses junge Ding
hingestellt. Keine achtzehn und damit vielleicht halb so alt wie ich es damals
war. Aber sie war schon damals äußerst gewissenhaft und hilfsbereit. Anfangs
hat man sie teilweise für meine Tochter gehalten, wenn sie nicht gerade ihre
Uniform anhatte und inzwischen? Sie könnte meine Mutter oder sogar Großmutter
sein. Ihr Faden dünnt immer weiter aus. Dagegen wird mein letzter Faden
vielleicht erst in tausend Jahren reißen. Was ist das nur für eine ungerechte
Welt?
Erneut klopft es an der Tür.
„Ist noch
etwas?“
Wieder lugt ihr
Kopf durch die Tür, während seiner immer noch über den Unterlagen grübelt.
„Sir, da ist
eine junge Frau in der Empfangshalle und möchte sie unbedingt sprechen.“
„Schicken sie
sie wieder weg. Ich empfange niemanden.“
„Nun ja, das
habe ich ihr auch gesagt. Daraufhin hat sie mir das hier in die Hand gedrückt.“
Verwirrt dreht
sich Samarus um und blickt auf das übergroße Objekt in Annas Händen. Mit jeden
Augenblick, der vergeht, weiten sich seine Augen mehr und mehr.
„Das ist, nein
das kann nicht sein. Woher?“ Vollkommen erstaunt geht er immer näher und näher
auf sie zu. „Das ist ein Ei. Ein riesiges Ei, das in steinerne Schuppen gehüllt
ist. Kann das sein? Ein Drachenei?“ Zaghaft berührt er es, als könnte es unter
der kleinsten Berührung zerfallen. „Es, es ist warm. Das kann unmöglich sein.
Es lebt!“ Regelrecht erschrocken sieht er Anna an. „Wo ist sie? Wo ist die
Frau?“
„Sir? Sie wartet
in der Empfangshalle, hätte ich sie wegschicken sollen?“
Als hätte ihn
was gebissen stürmt er an sie vorbei. „Nein, alles in Ordnung“, bringt er noch
kurz hervor, ehe er um die Ecke herum ist. Mit ungewohnter Geschwindigkeit
rennt er durch den oberen Gang und kommt erst am Treppengeländer der
Empfangshalle zum Stehen. Von dort oben starrt er die Frau an, die mitten in
der Halle steht. Sie trägt die typische Kleidung des hohen Adels von Mesa. Dazu
einen der weit verbreiteten übergroßen Hüte.
Durch den Krach
aufmerksam geworden, sieht sie zu ihm hoch. Langes braunes Haar umschmeichelt
ihre sanften Gesichtszüge. Ihre Augen strahlen feuerrot.
Seine
Gesichtszüge entgleiten ihm vollständig als er ihr Gesicht erblickt.
„Catherine.“
In ihrem Gesicht
breitet sich ein überglückliches Lächeln aus.
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