Sonntag, 28. April 2013

Konzert 01 Familienbande


Genervt blickt Mark auf. Drei Meter von ihm entfernt sitzt ein Großteil seiner gesamten Familie und unterhält sich am großen Esstisch im Wohnzimmer, während er es sich alleine auf der Couch bequem gemacht hat.
Das Essen findet seit knapp sieben Jahren bei seinen Eltern statt. Sowohl sein Großvater mütterlicherseits, als auch seine Großeltern väterlicherseits sind gekommen. Genau wie Bruder und Schwester seiner Mutter und der Bruder seines Vaters, inklusive Ehefrau und Kleinkind. Zu guter Letzt kommen dann noch die beiden Kinder seines Onkels mütterlicherseits hinzu, womit heute insgesamt dreizehn Leute plus Familienkatze im Haus sind. Knapp eine halbe Stunde ist seit dem alljährlichen Familienessen im Sommer vergangen, was, gegen dem Willen von Marks Mutter, drinnen aufgetischt wurde. Das launische Wetter hat ihr leider einen Strich durch die Rechnung gemacht, es regnet. Genauso mies wie das Wetter blickt auch Mark drein, als er dem Gespräch am Tisch lauscht. Sein Onkel Heiko streitet sich lautstark mit seinem Vater und Großvater über dieses korrupte Bänkerpack, wie er sie so gerne nennt. Wobei es weniger ein Streit um das Für und Wieder des kapitalistischen Systems ist, denn da sind sie sich einig. Nein, es geht eher darum, wer von ihnen diese Leute mehr hasst. Mark hat es inzwischen aufgegeben sich da einzumischen, auch wenn sie gegen seine eigene Zunft wettern. Aber mit schlüssigen Argumenten, so hat er feststellen müssen, kommt er bei ihnen nicht sonderlich weit. Kopfschüttelnd wendet er sich wieder seinem Smartphone zu und damit seinem Kumpel Steve, mit dem er gerade chattet:
   „Jetzt fängt er wieder mit diesem alten Mist an. Ich hab dir doch mal gesagt mein Onkel hat vor drei Jahren knapp sechs Tausend verloren. Er hatte auf Anraten von seinem bescheuerten Kumpel Tim in so ein komisches IT-Startup investiert, oder?“, fragt er Steve.
   „Green-Irgendwas? Ja, ich erinnere mich. Du hattest ihm doch davon abgeraten, oder?“
   „Ja, aber natürlich hat der Sturkopf nicht auf mich gehört. Tim weiß das, der kennt sich damit aus“, lästert er. „Er hat ja Informatik studiert. Super, hätt er lieber BWL studieren sollen, dann wär ihm vielleicht auch deren Businessplan aufgefallen. War kein Wunder, dass diese Klitsche nach einem halben Jahr den Bach runtergeht. Jetzt erzählt er wieder wie die phösen Bonzen das arme kleine Unternehmen fertig gemacht haben. Lächerlich.“
   „Haha, warum gehst du überhaupt noch zu diesen Feiern? Du wohnst doch seit zwei Jahren nicht mehr zu Hause.“
   „Pff, als ich das Thema auch nur angeschnitten hatte, hat meine Mutter schon Tränen in den Augen bekommen. Keine Chance.“
   „lol, Weichei.“
   „Leck mich!“
   „Nein, aber danke für das Angebot.“
   Gerade als Mark über die Antwort schmunzelt bemerkt er seine Mutter vor sich. Fragend sieht er sie an. „Ist was?“
   Seine Mutter schiebt eine ihrer bereits zur Hälfte ergrauten Haare hinter ihr Ohr, ehe sie antwortet. „Ich wollte fragen, wann du dich wieder zu uns setzt? Ist doch besser als hier alleine rumzusitzen, oder?“
   „Ich hab grad noch Geschäftliches zu erledigen. Ich komm gleich wieder an den Tisch, ok?“
   Kurz erstaunt sieht sie das kleine schwarze Gerät in seiner Hand an und nickt dann. „Gut, lass dir Zeit“, antwortet sie ihm und geht wieder zurück an ihren Platz am Tisch.
   Mark widmet sich inzwischen wieder seinem Chat: „Betriebsabrechnungsbogen, Handelskalkulation und Umlageschlüssel.“
   „Autokorrektur oder was soll das?“
   „Nein, ich hab nur gerade gesagt ich hätte ein Geschäftsgespräch. Jetzt ist es eins :P“
   „lol, dann kannst du es auch gleich von der Steuer absetzen.“
   „Geht nicht. Mein Chef zahlt leider die Rechnung. Ist mein Diensthandy xD“
   „Muhaha. Na so geht’s auch. Wie lange hast du denn noch, bis du dich dem gesellschaftlichen Druck beugst und an dem sozialen Beisammensein teilnehmen musst?“
   „Keine Ahnung vielleicht fünf Minuten oder so. Gott, das wird wieder so langweilig.“
   „Ist denn echt keiner da mit dem du dich unterhalten kannst?“
   „Nope.“
   „Keiner in deinem Alter?“
   Mark blickt erneut auf und schaut sich um. Dabei bleibt sein Blick an Beatrice hängen. Als sie seinen Blick bemerkt zeigt sie ihm kurz ein schüchternes Lächeln. Stirnrunzelnd schaut er wieder auf sein Smartphone und schreibt: „Mh, höchstens meine kleine Cousine Bea. Die ist vielleicht vier Jahre jünger als ich.“
   „Dann müsst sie jetzt Achtzehn sein? Perfekt, Volljährig! Ist sie heiß?“
   „Alter, hast du den Punkt überlesen, wo ich gesagt habe, sie ist meine Cousine?“
   „Ersten oder zweiten Grades?“
   „Gott, das ist mir doch egal. Ich knall doch keine Cousine von mir! Außerdem würd ich sie nicht als heiß bezeichnen. Sie ist klein, dürr und trägt immer lange Klamotten. Wüsste ich nicht wie alt sie ist, hätt ich sie für dreizehn oder vierzehn gehalten.“
   „Hey, es liegt nicht an mir drüber zu urteilen auf was andere Leute stehen. Manche mögen es halt ein wenig jünger …“
   „Du hast einen Schaden, hat dir das mal jemand gesagt? Ich hab aber eh nicht viel mit ihr zu tun. Früher haben sich unsere Eltern öfters getroffen. Da ist sie mir immer hinterher gewatschelt und hat mich genervt. Nachdem ihre Mutter vor fünf Jahren gestorben ist, ist der Kontakt fast komplett abgebrochen.“
   „Und? Geh halt trotzdem zu ihr und unterhalt dich. Besser als dumm rumzusitzen.“
   „Über was sollt ich mich denn mit ihr unterhalten? Über meinen Job? Sie würd ja nicht einmal verstehen was ich mache. Sie ist nicht unbedingt der hellste Licht in unserer Familie, wenn du weißt was ich meine.“
   „Na es gibt ja noch andere Sachen die ihr machen könnt. Du weißt doch: Dumm fickt gut.“
   „1. Cousine! 2. Wenn das stimmen würde, warum beschwert sich denn Susi darüber, dass du so scheiße im Bett bist?“
   „Vermutlich hat sie mich mit ihrem Yoga-Trainer verwechselt. Das ist ihr in den letzten Monaten schon öfters passiert.“
   „Ernsthaft?“
   „Sonst hätt ich die Schlampe nicht letzte Woche rausgeschmissen.“
   Erstaunt überlegt Mark. Er hatte sie eigentlich für echt nett gehalten. Vielleicht ein wenig zu nett, wenn er es sich recht überlegt. Er schreibt zurück: „Fuck, das ist ja mal echt beschissen. Lust auf eine Runde Frust-Saufen?“
   „Das wär was. Und dazu in einen Stripclub!“
   Kopfschüttelnd antwortet Mark: „Na von mir aus. Nächsten Samstag?“
   „Warum nicht am Freitag? Dann hätt der Kater mehr Zeit um sich zu verpissen.“
   „Geht nicht. Da hab ich Konzerttickets.“
   „Für?“
   „In Extremo. Willst du vielleicht mit?“
   „Nein, danke. Kannst du nicht mal zu ein paar vernünftigen Konzerten gehen?“
   „Sorry, aber ich hab keine Lust vierzig Euro auszugeben für Sound, den ich auch hören könnte wenn ich unser Fax anrufe. Das spielt dann sogar auch länger.“
   „lol, Touché. Gut, ok. Dann halt Samstag.“
   „Gut, ich muss jetzt. Wir sehen uns dann am Montag. Heul dich mal schön in den Schlaf.“
   „Das passiert mir höchstens wenn ich mir die Rechnung für heut Abend ansehe. Gut das Nutten keine ausstellen :P“
   Kopfschüttelnd lässt Mark die Nachricht unbeantwortet und wandert langsam wieder zurück zum Tisch.

Dort angekommen setzt er sich auf seinen Stuhl neben seine Mutter und gegenüber seinem Onkel.
   Dieser begrüßt ihn sofort: „Na, gesellt sich der Herr auch mal wieder zu uns? Konntest du wieder einen armen Schlucker einen überteuerten Kredit verkaufen?“
   Seine Mutter zischt ihren Bruder sofort an: „Heiko!“
   Mark allerdings nimmt das ganz gelassen. So etwas hat er sich schon öfters anhören müssen. „Ich hab nichts mit unseren Kunden zu tun“, erklärt er ihm langsam. „Habe dir doch schon oft genug erklärt, dass ich im Risikomanagement arbeite. Das ist der Bereich, der unter anderem auch überprüft ob sich eine Investition lohnt. Ich weiß ja, du hast keine Ahnung davon. Das hast du ja bei den Green-Futzies bewiesen. Aber kannst du dir zumindest merken in welchen Bereich ich arbeite?“ antwortet er mit einem bissigen Unterton.
   Das hat gesessen. Sein Onkel wendet sich murrend ab und unterhält sich wieder mit seinem Vater.
   „Das war nicht nett Mark“, tadelt ihn seine Mutter, „trotzdem: Guter Konter“, lobt sie ihn leise. Wieder lauter fragt sie ihn: „Ist alles in Ordnung an der Arbeit?“
   „Ja, war nichts Dringendes. Ein Kollege wollte nur wissen, wo ich die Unterlagen für ihn hingelegt habe.“
   „Ach dann ist ja gut. Ich dacht schon du müsstest deinen Urlaub absagen.“
   „Urlaub?“, fragt er sie verwirrt.
   „Nächste Woche. Hast du dir nicht freigenommen für das Konzert?“
   „Das ist am Freitag. Warum sollte ich mir da extra freinehmen?“
   Sein Cousin Georg mischt sich ein. „Hattest du Bea nicht gesagt es wäre am Mittwoch?“ Er ist das ältere Kind von Heiko und ist knapp so breit wie er hoch ist. Was nicht unbedingt wenig ist. Er reicht Mark fast bis zur Nase und der ist fast ein Meter neunzig groß. Mit seinem Militärhaarschnitt und gepaart mit seiner tiefen Stimme wirkt er immer ein Stück zu bedrohlich. Kennt man ihn allerdings näher, ist er recht nett, auch wenn er ziemlich ruppig ist. Dennoch ist es schwer zu glauben, er und Bea haben ein und dieselben Eltern. Jetzt wo sie beide nebeneinander sitzen ist es noch schwerer zu glauben. Sie ist klein und dünn, während er groß und breit ist. Er ist laut und offen, sie dagegen ist still und verschlossen. Einzig und allein ihr schwarzes Haar haben sie als Gemeinsamkeit. Wobei selbst da unterscheidet sie sich von ihm durch ihr langes glattes Haar. Vielleicht liegt es einfach nur an dem Altersunterschied von fast fünfzehn Jahren.
   „Wann hab ich Bea denn von dem Konzert erzählt?“, fragt Mark.
   „Na vor ein paar Wochen in deiner Mail. Erinnerst du dich etwa nicht mehr daran? Bea freut sich schon die ganze Zeit darauf und nervt mich mit ihrem Gerede darüber.“
   Jetzt versteht Mark wirklich nur noch Bahnhof. „Was denn für eine Mail?“, fragt er, während er innerlich überlegt ob er überhaupt ihre E-Mail-Adresse besitzt.
   Georg rollt mit den Augen. „Komm Bea, sag doch auch mal was“, fordert er sie auf und schlägt ihr leicht auf die Schulter. Aber selbst der kleine Klaps reicht aus damit sie zusammenzuckt.
   Schüchtern blickt sie zuerst ihren Bruder und dann Mark an, ehe sie antwortet: „Du hast mir doch vor drei Wochen eine Mail geschickt und mich darin auf ein Konzert von Justin Timberlake eingeladen.“ Dabei spielt sie nervös mit dem Stoff der Tischdecke.
   „Timberlake? Den mag ich nicht mal. Bist du sicher, du hast die Mail von mir bekommen?“
   Verwirrt runzelt Bea die Stirn. „Ja, also, eigentlich schon.“
   „Komm, du hast das Teil doch immer dabei. Hol mal deinen Laptop und zeig ihm die Mail“, befiehlt Georg seiner kleinen Schwester.
   Sofort springt sie auf und läuft rüber zu ihrer Tasche, wobei sie noch ein kurzes „Ok“ murmelt. Es dauert einen Moment bis sie ihren Laptop hervorgekramt hat und wieder zurück zum Tisch kommt. Dort angekommen stellt sie das Gerät vor sich auf den Tisch und schaltet ihn ein.
   Neugierig geht Mark um den Tisch herum und schaut ihr über die Schulter. Inzwischen hat auch der Rest der Familie bemerkt was da vor sich geht und schaut interessiert zu.
   Sichtlich nervös zeigt Bea ihm die Mail.


Hey du,

alles fit? Du wirst mir nicht glauben, was ich gewonnen habe: Zwei Tickets für Justin Timberlake! Geil oder? Die sind zusammen locker 200 Euro wert! Du kommst doch bestimmt mit, oder? Wär echt cool. Es gibt da nur einen kleinen Hacken. Der Radiosender von dem ich die Karten bekomme, verlangt eine Transaktionsgebühr von 80 Euro für die Tickets. Aber hey, wir können die uns ja teilen. Dann zahlt jeder von uns nur 40 Euro für die Tickets! Geil, oder?
Schick mir doch einfach das Geld über Paypal. Da musst du nur auf „Geld senden“ klicken, meine Mail-Adresse und die 40€ als Betrag eintragen. Simpler geht’s nicht.

Ich hoffe du kommst mit. Freue mich schon tierisch darauf.

Grüße

„Das stinkt nach Scam“, murmelt Mark, nachdem er den Text überflogen hat.
   „Was?“, fragt ihn Bea nun noch nervöser als vorhin.
   „Darf ich?“ Um seine Vermutung zu bestätigen schlängelt er sich an Bea vorbei, berührt das Touchpad und geht mit dem Mauszeiger auf den Absender. „Tz, das ich ja echt eine Adresse von mir …“
   „Hab ich doch gesagt.“
   „Aber die nutze ich seit Jahren nicht mehr.“
   „Was?“, fragt Bea nun mit leicht bebender Stimme.
   „Nein, die benutze ich nicht. Da muss sich doch glatt einer in meinen Account gehackt haben. Kein Wunder, ich habe damals noch komplett simple Passwörter genutzt.“
   Bea scheint noch immer nicht zu begreifen was gerade passiert. Sie schaut Mark nur mit großen Augen an.
   „Du hast denen doch nichts überwiesen, oder?“, fragt er sie.
   Beschämt starrt sie auf den Boden. Kleinlaut antwortet sie ihm: „Doch.“
   „Ach Bea … Das Geld wirst du wohl nicht mehr wiedersehen.“
   Jetzt beginnt auch der Rest der Familie sich einzumischen. Die meisten murmeln nur ihr Unverständnis, aber ihr Bruder ist da direkter: „Ernsthaft? Auf diesen Scheiß bist du reingefallen?“
   Mit Tränen in den Augen sieht sie von einem zum anderen. „Es tut mir Leid. Ich …“
   Ihr Vater unterbricht sie. „Dafür hast du die vierzig Euro gewollt? Wie dumm bist du denn? Die zahlst du mir aber sowas von zurück. Ey, wie bescheuert muss man denn sein um darauf reinzufallen?“, schnauzt er sie lauthals an.
   Das war zu viel für Bea, heulend rennt sie aus dem Wohnzimmer.
   „Scheiße.“ Über seinen Onkel fluchend springt Mark auf und rennt ihr hinterher. Das wollte er auf keinen Fall. „Warte Bea!“, ruft er ihr nach.

Im Flur schafft er es dann sie einzuholen. „Warte doch.“ Vergeblich versucht er sie am Arm festzuhalten. Ehe sie es zur Tür schafft, schlingt er seinen Arm um sie und hält sie richtig fest. Einen Moment lang versucht sie noch sich loszureißen, aber gibt es dann auf. Zur Sicherheit hält er sie aber noch immer fest, während er ihr ruhig sagt: „Sorry, aber dein Vater ist ein Arsch. Er wär da bestimmt auch drauf reingefallen. Kümmere dich doch nicht darum was er sagt. Hey, selbst mich hat man schon übers Ohr gehauen und da ging es um deutlich mehr als nur vierzig Euro. Geht’s dir besser?“ fragt er sie und versucht ihr ins Gesicht zu sehen.
   Offensichtlich nicht. Sie weint weiter und verdeckt beschämt ihr Gesicht.
   „Ich versteh nicht wirklich was das Problem ist“, gibt er zu. „So schlimm ist das doch nicht. Wieso trifft dich das denn so? Dein Vater und Georg sind halt ein paar Holzköpfe, aber sie …“, er unterbricht sich. Jetzt nachdem er seinen Namen erwähnt hat fällt ihm wieder ein, was Georg am Tisch gesagt hatte. „Oh Mann, ist es etwa weil ich dich nicht gefragt habe, ob du mit mir auf ein Konzert gehen willst?“
   Volltreffer. Jetzt versucht Bea sich erneut loszureißen.
   Er hält sie erneut fest. „Verdammt, jetzt wart doch mal. Ich wusste doch nicht, dass du gerne mit mir auf ein Konzert gehen würdest. Tut mir echt Leid was da passiert ist. Die konnten dich ja auch nur verarschen weil sie mein Konto geknackt haben.“
   Einen Moment lang herrscht Stille, aber dann fällt ihn etwas ein: „Ich weiß! Ich lad dich auf ein Konzert ein.“
   Ihr Wiederstand erlahmt komplett. Verwirrt sieht sie ihn mit tränenunterlaufenden Augen an. Mit diesem Angebot hat sie nicht gerechnet. „Was?“
   „Ja, das ist doch perfekt. Such dir ein Konzert aus und wir gehen da zusammen hin, ok? Ich zahl natürlich“, lächelt er.
   „Du musst das nicht …“
   „Ach Quatsch. Wer redet denn von müssen? Es würd dich doch glücklich machen, oder? Das reicht mir als Grund. Ich wusste ja nicht, du würdest gerne auf ein Konzert gehen. Ich unternehme doch gerne was mit meiner kleinen Cousine“, flunkert er ein Wenig. Nicht das er sie nicht leiden könnte. Er hat halt einfach nur nicht viel mit ihr zu tun. Aber wie schlimm kann ein Konzertabend mit ihr schon sein? Zumindest hört sie so auf zu weinen, denkt er sich.
   Und tatsächlich scheinen ihre Tränen zu versiegen. „Tatsächlich? Meinst du das wirklich ernst?“
   „Na klar“, antwortet er ihr. Vorsichtig wischt er ihr ein paar Tränen aus dem Gesicht. „Komm wieder zurück ins Wohnzimmer. Dann können wir mal nach einem passenden Konzert suchen.“

Als beide wieder das Wohnzimmer betreten, werden sie direkt von Georg aufgehalten. Ein wenig beschämt blickt er zur Seite als er zu Bea spricht. „Hey, tut mir Leid das eben. Das war wohl ein wenig zu harsch. Verzeihst du mir Kleines?“
   Damit hat Mark nicht gerechnet. Georg entschuldigt sich für etwas? Als er sich kurz umsieht und seine grinsende Mutter ansieht begreift er es allerdings. Sie hat ihm wohl kräftig die Meinung gegeigt. Kein Wunder, dass er seinen Onkel nirgendswo mehr sehen kann. Vermutlich hat er den Schwanz eingezogen. Vor ihr kneifen selbst die härtesten Schläger, hat ihm sein Großvater einmal erklärt. Damit hatte er wohl Recht.
   Bea ist das wohl auch vollkommen neu. „Ist schon in Ordnung. Alles ist gut“, beschwichtigt sie ihn und setzt kurz darauf glücklich nach, „Mark hat mich zu einem Konzert meiner Wahl eingeladen. Ist das nicht toll?“
   Erleichtert antwortet ihr Georg: „Ja, das ist es wohl. Wo wollt ihr denn hingehen?“
   „Das wollten wir gerade rausfinden“, antwortet ihm Mark. An Bea gerichtet fragt er: „Darf ich eben an dein Notebook? Ich kenn da ein paar Webseiten.“
   „Klar!“ antwortet sie ihm sofort.
   Schnell hat Mark die passende Seite offen und scrollt durch die regionalen Konzerte um Dortmund herum. „Hier sind einige. Ist was für dich dabei?“
   Bea hängt ihm inzwischen über der Schulter und studiert konzentriert die Liste. „Nein, noch nicht.“
   Während er ein paar Bands vorliest, bei denen er nicht den Drang verspürt panisch aus den Saal zu rennen, scrollt er immer weiter. Solange bis er zu seinem eigenen Entsetzen auf ein Konzert stößt, was er auf keinen Fall in der Liste finden wollte:
   28. Juni 2013 | Bochum | Justin Bieber Live in concert
   Doch Bea überliest das Konzert einfach. Erleichtert entspannt er seine Schultern, die er unbemerkt versteift hat. So schlecht ist ihr Musikgeschmack zum Glück nicht, denkt er sich erleichtert.
   Am Jahresende angekommen sagt er zu Bea: „Mh, das war’s. Nichts für dich dabei?“
   Sie schüttelt ihren Kopf. „Nein, nicht wirklich.“
   „Dann müssen wir es wohl etwas anders angehen. Was sind denn deine Lieblingsbands?“
   Sie überlegt kurz ehe sie ihm antwortet: „Mh, Slayer?“
   Überrascht sieht er sie an. „Echt? Slayer?“
   Schüchtern sieht sie kurz zu Boden und antwortet verunsichert: „Ja, wieso?“
   „Ach nichts. Ich hab nur nicht damit gerechnet. Schauen wir doch mal ob die hier irgendwo spielen.“ Nachdem er die Tour-Daten geöffnet hat äußert er enttäuscht: „Nein, dieses Jahr spielen sie nicht in Deutschland … Sonst noch wer?“
   „System of a Down?“
   „Haben die sich nicht aufgelöst?“, fragt er nach.
   „Nein, haben nur eine Pause gemacht. Sie spielen wieder.“
   „Oh ok, das wusste ich nicht.“ Erneut stöbert er die Tour-Daten durch, leider erfolglos. „Die spielen zwar in Deutschland, aber nur ein Konzert in München. Lust auf fünf Stunden Fahrt?“
   „Nicht wirklich. Sonst spielen sie nicht?“
   „Nein, scheint wohl nur eine kleine Tour zu sein. Hast du sonst noch andere Lieblingsbands? Vielleicht welche aus Deutschland? Da dürfte die Chance höher sein was zu finden.“
   „Mh, In Extremo? Das ist meine liebste deutsche Band.“
   Jetzt ist er wirklich baff. „Bitte was?“
   „In Extremo, das ist eine Band die …“
   Er hält kurz abwehrend die Hände hoch. „Ja, ich weiß wer die sind. Das ist eine deiner Lieblingsbands?“, fragt er sie verdattert.
   Ein wenig eingeschüchtert antwortet sie ihm: „Ja, wieso? Ist was schlimm an denen?“
   „Nein, nein. Absolut nicht. Ich, naja, das ist nur auch eine meiner Lieblingsbands. Das hat mich nur ein wenig überrascht, das ist alles“, beschwichtigt er.
   „Ach so“, erwidert sie erleichtert.
   Er fährt fort: „Also von denen kenn ich ein Konzert nächste Woche Freitag in Koblenz. Dafür hab ich sogar schon zwei Tickets gekauft. Das zweite Ticket war eigentlich für einen Bekannten von mir bestimmt, aber er kann wohl doch nicht. Soll ich ihn fragen ob er mir das Ticket geben kann?“
   „Wirklich? Das würdest du machen?“, fragt sie ihn und grinst dabei bis über beide Ohre.
   Stirnrunzelnd sieht er sie an.
   Das scheint Bea erneut aus den Takt gebracht zu haben. Schnell verfliegt das Lächeln aus ihrem Gesicht und sie fragt beschämt: „Was ist jetzt schon wieder?“
   Noch immer ein wenig irritiert antwortet er ihr: „Nichts. Ich glaube nur, ich habe dich schon sehr lange nicht mehr so lächeln gesehen“, gesteht er ihr ehrlich.
   Leicht errötet antwortet sie ihm mit einem schüchternen Lächeln.
   Es vergeht einen Augenblick bis er sich an ihre vorherige Frage erinnert. „Ja, sicher. Ich frag ihn. Aber das sollte kein Problem sein. Er kann eh an dem Tag nicht. Sekunde.“ Er holt sein Smartphone raus und verlässt kurz den Raum.

Keine zwei Minuten sind vergangen, als er wieder zurückkommt. Mit einem Lächeln im Gesicht offenbart er Bea: „Er hat ja gesagt. Im Grunde ist er sogar happy, weil er nicht auf den Kosten sitzen bleibt. Also können wir da am Freitag zusammen hin. Einlass wäre um neunzehn Uhr und wir haben knapp zwei Stunden Fahrt vor uns. Ich würd dich dann also um siebzehn Uhr abholen. Geht das in Ordnung?“
   Wieder steht ihr dieses unbefangene Lächeln im Gesicht als sie antwortet: „Ja, perfekt.“

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