Sonntag, 17. März 2013

DK 04 Fliegen


 „WAS? Du willst mich REITEN?“, brüllt sie ihn wütend an.
   „Pscht, nicht so laut, die Leute gucken bereits.“
   Sie schaut sich um und tatsächlich sieht ein Großteil der Menge sie verwirrt an. Rot im Gesicht packt sie ihn und zerrt ihn an einen ruhigeren Ort, weg von den anderen Marktbesuchern. Zwischen zwei alten Holzhütten am Hafen bleiben sie stehen.
   „Beim großen Leviathan, was willst du?“

   „Du hast mich genau verstanden, ich möchte dass du mir endlich einmal deine Drachengestalt zeigst. Ich mich auf deinen Rücken setze, damit wir beide zusammen abheben können.“ Samarus grinst sie an.
   Schwer atmet sie aus. „Hmpf, das hättest du auch anders sagen können.“
   „Können, ja. Aber wollen? Ne, dafür war deine Reaktion zu gut.“
   „Dafür sollt ich dich in Brand setzen!“
   „Du drohst deinem eigenen Studenten?“, entsetzt starrt er sie an. „Tztztz und das will eine Lehrerin sein.“
   „Hyrasis ist jetzt dein Lehrer. Ich bin einfach nur noch höher gestellt als du. Quasi“, langsam legt sie ihren Zeigefinger an die Lippen, „deine Gebieterin. Ich kann mit dir machen was ich will.“ Sie strahlt ihn böse an, während sie sich langsam an ihn schmiegt.
   Er beugt sich ihr entgegen und haucht ihr zart entgegen „Lenk nicht ab. Ich will endlich deine Drachengestalt sehn!“
   Catherine stößt sich von ihm ab. „Woher weißt du das überhaupt? Sonst weiß es nur der Erzmagier. Wie hast du neugierige Ratte das herausgefunden?“
    „Neugierige Ratte?“ geschockt sieht er sie an. „Immer diese Beleidigungen! Ich war zufällig in der Nähe als Ihr euch über Verhandlungen des Zirkels mit dem Drachenhort unterhalten habt. Dabei hast du so geredet als würdest du zum Hort gehören. Nachdem ich mich ein wenig über Drachen und ihre magischen Fähigkeiten informiert hatte, war es mir klar.“
   „Du hast also rein zufällig gelauscht?“
   „Zugehört und ja.“
   „Also du hast uns reeein zufällig dabei ‚zugehört‘ wie wir beide uns hoch oben, auf der obersten Spitze des Zirkels, unter dem Schutz mehrerer Siegelzauber, unterhalten haben.“
   „Ganz genau.“
   Während Samarus übertrieben eifrig nickt, kneift sie sich nur genervt in die Stirn. „Na gut, nimm dir morgen frei.“
   „Juhu!“ Er greift sie und küsst seine Freundin überschwänglich. „Endlich sehe ich dein wahres Ich.“
   Sie errötet.

Es ist früh morgens, noch ist die Sonne nicht aufgegangen und so stehen die Beiden alleine an der Küste. Die Fischer, Seeleute und Kaufleute liegen noch alle in ihren Kojen oder im Falle des Mannes dort hinten, besoffen im halb ausgetrockneten Abflusskanal.
   „Die wilde Mähre macht ihrem Namen echt alle Ehre.“
   „Bitte?“
   „Nichts, nichts. Los geht’s.“
   „Na gut. Dann mal los“, sie sieht sich nervös um, „geh ein paar Schritte zurück. Die Verwandlung ist ziemlich heiß.“
   Samarus grinst anzüglich. „Na das hoff ich doch.“
   Weicht er zurück wegen des Sicherheitsabstandes oder weil sie ihn so böse anfunkelt? Wer weiß.
   „Gut, los geht’s.“ Sie schließt ihre Augen und atmet langsam ein und aus. Ihre Adern beginnen zu glühen. Von Dunkelblau hin zu Hellgelb. Es sieht aus als würde ihre Haut mit Flammenrissen durchzogen werden.
   Aus Feuer geborene Magie. Wow.
   Es wird heiß, aber so richtig heiß. Ihre Kleidung wallt auf, trotz der Hitze entzündet sie sich aber nicht.
   Schade.
   Feuer umschließt sie nun komplett, er kann nicht mehr ihr Gesicht erkennen. Kurz erschrickt er, eine gewaltige geschuppte Klaue kommt aus der Feuersäule und danach noch eine. Zwei riesige Schwingen zerreißen die Säule. Flammen steigen in die Luft und offenbaren ihre volle Gestalt. Sie brüllt ihn an und so - das möchte ich hier einmal festhalten, nicht aus Angst, sondern wegen der massiven Druckwelle - wird er umgeschmissen.
   „WOW!“
   „Na, ich bin wirklich umwerfend was?“, erklingt es in seinem Geist.
   „Joa, geht so.“
   Sie schnaubt. „Du kannst nichts vor mir verbergen. Ich riech deine Aufregung.“
   Er rappelt sich langsam auf und betrachtet sie genauer. Catherine ist jetzt locker doppelt so hoch wie Samarus selbst und jede ihrer beiden Schwingen dreimal so lang wie er. Ihr halb geöffnetes Maul offenbart fingerlange und messerscharfe Zähne. Ihr gesamter Körper, so scheint es, ist mit silberroten Schuppen bedeckt, die wie poliertes Metall in der aufgehenden Sonne glänzen.
   So majestätisch und wunderschön.
   Er streift an ihr vorbei und berührt das Schuppenkleid.
   Fest wie Stahl, aber warm.
   „Wie bei uns Menschen kommt die Magie der Drachen aus ihnen selbst. Doch bei ihnen ist es das Feuer. Als Kinder Terras, brennt ihre Seele heißer als der heißeste Vulkan der Welt. Damit sind sie unter den Kaltblütern einzigartig. Denn sie können sich so immer selbst mit Wärme versorgen“, zitiert er aus ‚Drachen und andere Echsen‘.
   Samarus wandert weiter und bewundert ihren locker neun Fuß langen und geschuppten Schwanz, hebt ihn an und schaut darunter.
   „WAS ZUM?“, ihr Kopf schnellt herum, „was treibst du da?“
   Schnell weicht er zurück. „Nichts, nichts. Die Literatur ist was das angeht nur nicht gerade sehr ausführlich.“
   Sie knurrt ihn an. „Kein Wunder, was glaubst du was mit denen passiert ist, die es herausfinden wollten?“
   Ganz unschuldig gibt er von sich: „Man hat es ihnen gezeigt und sie wollten nie wieder ins Reich der Menschen?“
   Ihr Knurren wird lauter und eindringlicher.
   „Ähm, hey wow. Wir haben heute ja einen richtig tollen Sonnenaufgang, nicht wahr?“, er zeigt in Richtung Meer, „wir sollten langsam von hier verschwinden, oder?“
   „Du versuchst mich nur wieder abzulenken, aber leider hast du Recht. Steig auf.“
   Er hält sich an einem ihrer Beine fest, schaut hoch und bleibt verwundert stehen. „Öhm, wie?“
   „Wie? Siehst du nicht die Steigbügel? Klettre gefälligst hoch du faules Stück.“
   „Bittest du mich gerade dich zu besteigen?“
   Sie schüttelt nur den Kopf, packt ihn mit einer Klaue und schleudert ihn hoch auf ihren Rücken.
   Panisch krallt er sich fest und schafft es gerade so zu verhindern, nicht wieder runterzufallen. „Nicht nett, nicht nett!“
   „Halt dich besser fest! Wir starten.“ Mit einem gewaltigen Ruck drückt sie sich von der Klippe ab, spreizt ihre Schwingen und hebt ab.
   Samarus drückt sich an ihr Schuppenkleid und versucht sich mit mehreren Schattenfesseln festzuhalten. „Cat! das hast du doch mit Absicht gemacht!“, brüllt er gegen den starken Wind, „ich sag dir wenn wir wieder unten sind dann … Wow.“
   Erst jetzt bemerkt er seine Umgebung. Sie sind weit über der Stadt, noch höher als auf dem Turm des Zirkels. Catherine ist langsamer geworden und gleitet dahin. Unter ihnen erwacht langsam die Stadt. Winzige Menschen die wie Ameisen durch die Straßen und Gassen wandern. Er blickt über das gewaltige, selbst von hier oben noch, endlos wirkende Meer. Auf der anderen Seite der Stadt erstrecken sich tausende Fuß weite Felder mit fruchtbeladenen Bäumen und Getreide. „Ich glaub ich sollt mich einmal mit Flugmagie beschäftigen.“
   Sie lacht.

Ihr Flug geht über das Meer, an der weiten Küste auf der gegenüberliegenden Seite entlang, über mehrere Ländereien und Städte hinweg, hin zu einem gewaltigen Gebirge.
   „Wohin fliegen wir eigentlich?“
   „Ach ich wollt dich nur ein paar Verwandten vorstellen.“ Sie steigen immer höher und höher, entlang der steilen Berge.
   „Ver...wandten?“
   „Ja, dahinten ist die Pforte.“
   Aus dem Nebel der Gebirge tauchen auf einmal zwei gewaltige Drachen auf. Nein, Steindrachen. Hunderte Fuß hohe, in Bergspitzen eingemeißelte steinerne Drachen.
   „Unfassbar.“
   „Das waren Geschenke von euch Menschen. Über hunderte Jahre hinweg haben Handwerker des damaligen Kaiserreiches gearbeitet. Sie markieren die Pforte zu unserem Reich.

Langsam gleitet sie zwischen den beiden Giganten vorbei und er beobachtet jedes kleine Detail an ihnen. Die Schlucht vor ihnen teilt sich.
   „Dahinten auf der linken Seite ist der Hort der Toten und hier in der rechten Schlucht, ist unser Hort.“
   Während sie diese Worte spricht brechen sie durch die Dunkelheit der Schlucht hinaus in das warme Licht der langsam untergehenden Sonne. Vor ihnen erstreckt sich ein riesiger Berg, überall ist er mit zwanzig bis fünfzig Fuß hohen Tunneln durchlöchert. In der Luft befinden sich tausende kleiner Drachen und einige wenige Titanen, deren Spannbreite wohl so manchen Palast überragen würde: Der Drachenhort.

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