„Halt dich gut
fest! Ich lande“, warnt sie ihn.
Schnell
verstärkt Samarus seine Schattenfesseln und drückt sich enger an ihre warmen
Schuppen.
Catherine
steuert langsam auf den gewaltigsten Tunneleingang des Gebirges hin. Genauer
auf das Plateau davor. Im Näherkommen entdeckt er die Säulen am Eingang des
Tunnels, sie sind mit unzähligen Runen und Zeichnungen verziert.
Fantastisch.
Ein
vergleichsweise sanfter Ruck und schon sind sie gelandet. Um sie herum landen
und starten noch weitere Drachen.
Ein reger Betrieb herrscht hier.
Einige der
Drachen beladen einander und andere wiederum umarmen ihre Freunde und
Familienangehörigen, sowohl zur Begrüßung als auch zum Abschied. Er löst seine
Fesseln und lässt sich vorsichtig von ihr heruntergleiten. Bei Aufprall auf dem
Boden kommt er ins straucheln. Seine Beine sind taub von der langen Reise.
Hinter ihm
ertönt ein Fauchen. Als er sich umdreht starrt er wieder in die vertrauten
feuerroten Augen seiner Geliebten. „Wieder in deiner menschlichen Gestalt?“,
fragt er.
„So ist es
leichter dich herum zu führen. In den Gängen kann man eh nicht fliegen. Komm.“,
sie greift ihm beim Arm und zieht ihn mit sich. „Das hier ist der Haupteingang.
Er wurde für unseren Vater geschaffen, damit er den Hort betreten kann. Auch
wenn er sich ducken muss …“
Erstaunt schaut
er hoch.
Ducken? Der Tunnel ist locker zweihundert
Fuß hoch!
„Dein Paps ist
nicht das was man als Zwerg bezeichnet, was?“
„Nein und das
bringt mich zu einem anderen Punkt. Benimm dich gefälligst. Das hier ist meine
Familie, verstanden?“
„Ein Vertrauen
hast du in mich, also wirklich. Ich veranstalte schon nichts Peinliches.“
„Hoffen wir
es.“, beäugt sie ihn misstrauisch.
Beide wandern in Richtung des Tunneleinganges. Verwundert
bleibt Samarus stehen, als er die Säulen an den Rändern entdeckt. Sofort fragt
er nach: „Die Säulen. Welche Sprache ist das? Wirkt irgendwie menschlich.“
„Das ist
Alt-Sumerisch. Bevor sich unser Volk unter meinen Vater zusammenschloss waren
wir isoliert. Wir kommunizierten miteinander über Gedanken, Gesten und Laute,
somit gab es keine Schriften. Erst unter Leviatan bildete sich so etwas wie
eine Kultur. Diese wurde maßgeblich von dem damals größten Reich der Menschen
inspiriert, dem Sumerischen Reich“, erklärt sie ihm.
„Interessant.
Die Sprache der Drachen ist also die, der ersten Menschen. Spannend.“ Er geht
näher an die Säulen um sie genauer zu betrachten.
„MAMA!“,
erschallt es in seinem Geist. Ein offensichtlich noch junger Drache, noch
kleiner als ein Mensch rennt flügelschlagend auf Catherine zu und drückt sich
freudig an sie.
„Ma…?“,
vollkommen verwirrt und abgelenkt tritt er gegen eine Schneewehe, stolpert und
landet Kopf voran mit einem lauten Knall auf den Steinboden.
Der junge Drache
springt erschrocken hoch und flattert panisch davon. Auch die restlichen
Drachen auf dem Plateau schauen verwundert in ihre Richtung.
„Wie war das mit
nichts Peinliches?“ Catherine schüttelt ihren Kopf. „Bist du in Ordnung?“ Sie
hilft ihm hoch, während er sich mit schmerzverzogener Mine die Stirn reibt.
„Au, verdammt.
Was, was hat er gerade gesagt?“
„Was? Mama? Uh,
du Idiot.“ Mitleidslos verpasst sie ihm eine Kopfnuss gegen seinen Hinterkopf.
„Arg, was sollte
das denn jetzt?“
„Du weißt ganz
genau, unser Volk ist eine Großfamilie. Jeder der sich um unser Gelege kümmert
ist für die Kleinen Mutter oder Vater!“
„Oh, stimmt. Das
hab ich ganz vergessen. Also hast du ihn nur aufgezogen?“
„Ich war bei
seinem Schlüpfen dabei.“
Er klopft sich
Schnee und Dreck von der Kleidung. „Verstehe. Wo ist er denn hin?“
„Du hast ihn mit
deiner Nummer verschreckt. Aber er kommt bestimmt später noch einmal wieder.
Lass uns zu meinen Gemächern gehen.“
Die Beiden betreten den Tunnel. Keine Fackeln erhellen
ihnen den Weg, sondern stattdessen ist der gesamte Fels mit rotglühenden Rissen
durchzogen. Bewundernd nähert er vorsichtig seine Finger einen dieser Risse.
Heiß, aber richtig heiß, deswegen ist es
hier drin auch so warm.
„Das Gebirge
hier ist eigentlich ein Vulkan. Durch Magie wurde er neu geformt und die
Vulkanadern dienen uns als Licht- und Wärmequelle“, erläutert sie ihm.
„Bemerkenswert.“
Sie gehen weiter
und immer weiter in die Tiefen des Gebirges. Um ihnen herum wandern überall
Drachen in normaler und in menschlicher Gestalt herum. Vermutlich sind unter
ihnen auch ein paar wenige echte Menschen unterwegs. Samarus Kopf wandert hin
und her um so viel wie möglich zu sehen. Wobei er allerdings nicht den fast
hundert Fuß riesigen Drachen bemerkt, der sich mit hoher Geschwindigkeit von
hinten durch die Menge wallst. Schnell weichen die anderen im Tunnel diesem
Riesen aus. Nur Samarus bleibt stehen, sein Blick gefesselt von den kleinen
Drachen, die im oberen Bereich des Tunnels herumfliegen. Catherine packt ihn
schnell und zieht in zur Seite.
„Aus dem Weg
Abfall“, knurrt es in seinem Kopf, ehe der riesige Drache einmal kurz mit
seinem linken Flügel ausschlägt und Samarus trifft. Zusammen mit ihr stürzt er
zu Boden.
Langsam kommt er wieder zu sich. Als er die Augen wieder
aufschlägt sieht er in die besorgte Miene seiner Geliebten und dem
erleichterten Blick eines Fremden.
„Oh Mann, hat
mich eine Kutsche überfahren?“, er reibt sich den Hinterkopf.
„Nein, aber ein
Drache“, gibt sie lachend von sich.
„Genauer gesagt
war das Marek“, präzisiert der Fremde, „ein ziemlich arrogantes Arschloch. Wie
du dir vielleicht denken kannst, ist er kein großer Freund eures Volkes.“
„Mhmpf, hab ich
mitbekommen.“
„Das war wohl
wirklich nicht der beste Eindruck, den man von unserem Volk haben kann. Ich
möchte mich im Namen meiner Brüder und Schwestern entschuldigen. Wir sind nicht
alle so“, grinst er Samarus an.
„Davon bin ich
nicht ausgegangen“, ein kurzer Blick zu Catherine. „Ähm, wer seid ihr genau?“
„Das ist
Diamedes, mein Bruder. Wir kennen uns seit wir geschlüpft sind. Er ist einer
der wenigen Drachen die sich in der Heilkunde auskennen. Er hat dich wieder
zusammen geflickt“, springt Catherine ein.
„Dann muss ich
mich wohl bei dir bedanken.“
„Nicht nötig,
das war eine Selbstverständlichkeit.“
„Trotzdem danke.
Cat hat dir bestimmt schon gesagt wer ich bin. Aber trotzdem, ich bin Samarus
Dev“, er reicht ihm die Hand.
„Diamedes. Freut
mich dich kennenzulernen, Samarus.“
„Dia wohnt
übrigens auch in Steinhafen.“
„Ach ja? Wo
genau?“
„Im Nordviertel.
Mir gehört da eine kleine Praxis.“
„Untertreib mal
nicht. Er gehört zu den geachtetsten Medici in Steinhafen, Samarus.
Er behandelt tagtäglich fast hundert Menschen zusammen mit seiner Frau. Viele
davon ohne Bezahlung.“
„Cat, das
interessiert ihn bestimmt nicht“, versucht er sie beschämt vom Reden
abzuhalten.
„Du bist
verheiratet? Mit einem Menschen?“
Diamedes
schüttelt kurz den Kopf. „Nein, mit einer meiner Brutschwestern.“
„Wie kommt es
dann, dass ihr nicht hier lebt?“
„Naja, hier
werden meine Fähigkeiten weniger benötigt und in Steinhafen gibt es dieses
fantastische Lokal. Ein besseres Spanferkel habe ich noch nirgendwo gegessen.
Aber ich sollte langsam los. Meine Frau wundert sich bestimmt schon wo ich denn
bleibe.“
„Dann wollen wir
dich nicht länger aufhalten. Du kannst uns später dann mal dieses Lokal
zeigen.“
„Eine gute
Idee.“
Schnell verabschieden
sie sich und Samarus sinkt zurück in die weichen Laken. „Ein netter Kerl“, gibt
er von sich, während er die leuchtenden Risse in der Decke bewundert. Sie sind
zu filigranen Bildern geformt worden.
Verschlafen schlägt er die Augen auf. Cat liegt in seinen
Armen.
Mein wundervolles Kätzchen Ich würd dich zu
gerne aufwecken und ein paar versaute Dinge mit dir veranstalten, aber zuerst
ruft die Natur.
Vorsichtig
schält er sich aus den Lacken und schaut sich im schummrigen Licht der Risse
um. Ein großer Raum. Neben dem Bett, in dem er eben noch lag befinden sich nur
einige Regale und Schränke mit Büchern und ein schwerer Vorhang der nach
draußen führt.
Mh, wo ist der Abort? Vielleicht auf dem
Flur?
Vorsichtig zieht
er sich an und wandert hinaus. Alleine wandert er durch die Gänge. Der
Drachenhort scheint tief und fest zu schlafen.
Ich könnt schwören das Licht ist viel
dunkler als heut Abend. Ob sie es abdunkeln können? Das muss ich Cat morgen
unbedingt fragen.
Nach fast einem
halben Glockenschlag der Suche gibt er entnervt auf.
Das gibt es doch nicht. Hier in dieser
großen Halle ist auch keiner. Wo zum Geier ist deren Abort? Es kann doch nicht
sein das hier nirgendswo einer ist. Als ob Drachen keinen …? brauchen Drachen
überhaupt einen? Darüber hab ich nie was gelesen. Verdammt, was wenn die so
etwas nicht besitzen? Na klasse, was mach ich denn jetzt? Mh.
Schnell sieht er
sich um. Niemand da.
Kurz zuckt er
mit den Schultern, geht an die nächstbeste Wand, schnürt seine Hose auf und
entlädt seine Blase.
„Ah … das tut
gut.“
Als er endlich fertig ist macht er erleichtert seine Hose
wieder zu.
„Das war nötig“,
murmelt er vor sich hin.
Auf einmal
beginnt der Boden zu beben. Die Wand vor ihm erzittert.
Verdammt was geht denn jetzt ab? Bricht der
Vulkan aus?
Von der hohen
Decke rieseln kleine Steinchen herab und als er nach oben blickt erstarrt er.
Ein riesiges Auge, das selbst ihn überragt, steckt da oben in der Wand.
Was, das ist keine Wand? Seine
Kinnlade klappt herunter.
Das Auge erfasst
ihn. Zuerst sein Gesicht, dann wandert sein Blick hinunter zur Pfütze an
seinem, nun ja? Bein? Dann geht der Blick wieder zurück zu seinem Gesicht,
wieder runter und wieder hoch.
Erschrocken richtet sich Catherine auf.
„Was zum …?“ Ein
gewaltiges Dröhnen erschüttert den Berg.
„Vater!“, panisch springt sie aus dem Bett. „Samarus, wach auf,
irgendwas stimmt mit Vater nicht. Samarus?“
Das aufgewühlte
Bett ist leer.
Wo? Beim Leviatan, was hast du gemacht?
Schnell rennt sie durch die Gänge, zusammen mit vielen
anderen ihrer Artgenossen. Alle auf dem Weg zu ihrem Allvater. Je näher sie
kommt, desto deutlicher hört sie das Grölen und als sie es endlich durch den
Vorraum hinein in den Saal des Kaisers geschafft hat, versteht sie es richtig.
Es ist ein tiefes Lachen.
Dort steht er vor ihm.
„Vater, Sam!“,
sie packt Samarus und dreht ihn zu sich herum. „Was hast du getan?“
„Ich äh, ich
musste mal und hab den Abort gesucht und also …“
Sein Blick geht
kurz nach hinten, da entdeckt sie die Pfütze. „Das hast du nicht getan. Nein,
das hast du nicht“, sie schüttelt den Kopf. „Du hast meinen VATER
ANGEPINKELT?“, brüllt sie ihn an.
Samarus hebt
beschwichtigend die Arme. „Naja, es war dunkel.“
„Es war DUNKEL?
Ich gebe dir gleich Dunkel! Was ist aus ‚ich veranstalte schon nichts
Peinliches‘ geworden?“
Ein diebisches
Grinsen stielt sich in sein Gesicht. „Hab mich wohl geirrt.“
Das bringt das
Fass zum überlaufen. Catherine holt aus, schlägt mit voller Wucht zu und … schlägt
durch ihn durch. „Was zum?“
Sein Körper löst
sich auf bis er vollständig verschwunden ist.
„Schattenmagie!
Samarus du feige Ratte. WO STECKST DU?“, brüllt sie in die Halle.
Wieder wird der
Raum erschüttert. Eine von Leviatans gewaltigen Klauen ist zu Boden gekracht.
Erschrocken starren sie alle an. Nachdem sich der Staub verzogen hat fällt der
Blick auf einen zusammengezuckten Samarus, der zwischen den riesigen Klauen
gefangen ist.
„Elender
Verräter!“, zischt er den gewaltigen Drachen an, der erneut mit seinem tiefen
Lachen den Hort erschüttert.
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