Samstag, 16. März 2013

DK 05 Der erste Eindruck


 „Halt dich gut fest! Ich lande“, warnt sie ihn.
   Schnell verstärkt Samarus seine Schattenfesseln und drückt sich enger an ihre warmen Schuppen.
   Catherine steuert langsam auf den gewaltigsten Tunneleingang des Gebirges hin. Genauer auf das Plateau davor. Im Näherkommen entdeckt er die Säulen am Eingang des Tunnels, sie sind mit unzähligen Runen und Zeichnungen verziert.
   Fantastisch.

   Ein vergleichsweise sanfter Ruck und schon sind sie gelandet. Um sie herum landen und starten noch weitere Drachen.
   Ein reger Betrieb herrscht hier.
   Einige der Drachen beladen einander und andere wiederum umarmen ihre Freunde und Familienangehörigen, sowohl zur Begrüßung als auch zum Abschied. Er löst seine Fesseln und lässt sich vorsichtig von ihr heruntergleiten. Bei Aufprall auf dem Boden kommt er ins straucheln. Seine Beine sind taub von der langen Reise.
   Hinter ihm ertönt ein Fauchen. Als er sich umdreht starrt er wieder in die vertrauten feuerroten Augen seiner Geliebten. „Wieder in deiner menschlichen Gestalt?“, fragt er.
   „So ist es leichter dich herum zu führen. In den Gängen kann man eh nicht fliegen. Komm.“, sie greift ihm beim Arm und zieht ihn mit sich. „Das hier ist der Haupteingang. Er wurde für unseren Vater geschaffen, damit er den Hort betreten kann. Auch wenn er sich ducken muss …“
   Erstaunt schaut er hoch.
   Ducken? Der Tunnel ist locker zweihundert Fuß hoch!
   „Dein Paps ist nicht das was man als Zwerg bezeichnet, was?“
   „Nein und das bringt mich zu einem anderen Punkt. Benimm dich gefälligst. Das hier ist meine Familie, verstanden?“
   „Ein Vertrauen hast du in mich, also wirklich. Ich veranstalte schon nichts Peinliches.“
   „Hoffen wir es.“, beäugt sie ihn misstrauisch.

Beide wandern in Richtung des Tunneleinganges. Verwundert bleibt Samarus stehen, als er die Säulen an den Rändern entdeckt. Sofort fragt er nach: „Die Säulen. Welche Sprache ist das? Wirkt irgendwie menschlich.“
   „Das ist Alt-Sumerisch. Bevor sich unser Volk unter meinen Vater zusammenschloss waren wir isoliert. Wir kommunizierten miteinander über Gedanken, Gesten und Laute, somit gab es keine Schriften. Erst unter Leviatan bildete sich so etwas wie eine Kultur. Diese wurde maßgeblich von dem damals größten Reich der Menschen inspiriert, dem Sumerischen Reich“, erklärt sie ihm.
   „Interessant. Die Sprache der Drachen ist also die, der ersten Menschen. Spannend.“ Er geht näher an die Säulen um sie genauer zu betrachten.
   „MAMA!“, erschallt es in seinem Geist. Ein offensichtlich noch junger Drache, noch kleiner als ein Mensch rennt flügelschlagend auf Catherine zu und drückt sich freudig an sie.
   „Ma…?“, vollkommen verwirrt und abgelenkt tritt er gegen eine Schneewehe, stolpert und landet Kopf voran mit einem lauten Knall auf den Steinboden.
   Der junge Drache springt erschrocken hoch und flattert panisch davon. Auch die restlichen Drachen auf dem Plateau schauen verwundert in ihre Richtung.
   „Wie war das mit nichts Peinliches?“ Catherine schüttelt ihren Kopf. „Bist du in Ordnung?“ Sie hilft ihm hoch, während er sich mit schmerzverzogener Mine die Stirn reibt.
   „Au, verdammt. Was, was hat er gerade gesagt?“
   „Was? Mama? Uh, du Idiot.“ Mitleidslos verpasst sie ihm eine Kopfnuss gegen seinen Hinterkopf.
   „Arg, was sollte das denn jetzt?“
   „Du weißt ganz genau, unser Volk ist eine Großfamilie. Jeder der sich um unser Gelege kümmert ist für die Kleinen Mutter oder Vater!“
   „Oh, stimmt. Das hab ich ganz vergessen. Also hast du ihn nur aufgezogen?“
   „Ich war bei seinem Schlüpfen dabei.“
   Er klopft sich Schnee und Dreck von der Kleidung. „Verstehe. Wo ist er denn hin?“
   „Du hast ihn mit deiner Nummer verschreckt. Aber er kommt bestimmt später noch einmal wieder. Lass uns zu meinen Gemächern gehen.“

Die Beiden betreten den Tunnel. Keine Fackeln erhellen ihnen den Weg, sondern stattdessen ist der gesamte Fels mit rotglühenden Rissen durchzogen. Bewundernd nähert er vorsichtig seine Finger einen dieser Risse.
   Heiß, aber richtig heiß, deswegen ist es hier drin auch so warm.
   „Das Gebirge hier ist eigentlich ein Vulkan. Durch Magie wurde er neu geformt und die Vulkanadern dienen uns als Licht- und Wärmequelle“, erläutert sie ihm.
   „Bemerkenswert.“
   Sie gehen weiter und immer weiter in die Tiefen des Gebirges. Um ihnen herum wandern überall Drachen in normaler und in menschlicher Gestalt herum. Vermutlich sind unter ihnen auch ein paar wenige echte Menschen unterwegs. Samarus Kopf wandert hin und her um so viel wie möglich zu sehen. Wobei er allerdings nicht den fast hundert Fuß riesigen Drachen bemerkt, der sich mit hoher Geschwindigkeit von hinten durch die Menge wallst. Schnell weichen die anderen im Tunnel diesem Riesen aus. Nur Samarus bleibt stehen, sein Blick gefesselt von den kleinen Drachen, die im oberen Bereich des Tunnels herumfliegen. Catherine packt ihn schnell und zieht in zur Seite.
   „Aus dem Weg Abfall“, knurrt es in seinem Kopf, ehe der riesige Drache einmal kurz mit seinem linken Flügel ausschlägt und Samarus trifft. Zusammen mit ihr stürzt er zu Boden.

Langsam kommt er wieder zu sich. Als er die Augen wieder aufschlägt sieht er in die besorgte Miene seiner Geliebten und dem erleichterten Blick eines Fremden.
   „Oh Mann, hat mich eine Kutsche überfahren?“, er reibt sich den Hinterkopf.
   „Nein, aber ein Drache“, gibt sie lachend von sich.
   „Genauer gesagt war das Marek“, präzisiert der Fremde, „ein ziemlich arrogantes Arschloch. Wie du dir vielleicht denken kannst, ist er kein großer Freund eures Volkes.“
   „Mhmpf, hab ich mitbekommen.“
   „Das war wohl wirklich nicht der beste Eindruck, den man von unserem Volk haben kann. Ich möchte mich im Namen meiner Brüder und Schwestern entschuldigen. Wir sind nicht alle so“, grinst er Samarus an.
   „Davon bin ich nicht ausgegangen“, ein kurzer Blick zu Catherine. „Ähm, wer seid ihr genau?“
   „Das ist Diamedes, mein Bruder. Wir kennen uns seit wir geschlüpft sind. Er ist einer der wenigen Drachen die sich in der Heilkunde auskennen. Er hat dich wieder zusammen geflickt“, springt Catherine ein.
   „Dann muss ich mich wohl bei dir bedanken.“
   „Nicht nötig, das war eine Selbstverständlichkeit.“
   „Trotzdem danke. Cat hat dir bestimmt schon gesagt wer ich bin. Aber trotzdem, ich bin Samarus Dev“, er reicht ihm die Hand.
   „Diamedes. Freut mich dich kennenzulernen, Samarus.“
   „Dia wohnt übrigens auch in Steinhafen.“
   „Ach ja? Wo genau?“
   „Im Nordviertel. Mir gehört da eine kleine Praxis.“
   „Untertreib mal nicht. Er  gehört zu den geachtetsten Medici in Steinhafen, Samarus. Er behandelt tagtäglich fast hundert Menschen zusammen mit seiner Frau. Viele davon ohne Bezahlung.“
   „Cat, das interessiert ihn bestimmt nicht“, versucht er sie beschämt vom Reden abzuhalten.
   „Du bist verheiratet? Mit einem Menschen?“
   Diamedes schüttelt kurz den Kopf. „Nein, mit einer meiner Brutschwestern.“
   „Wie kommt es dann, dass ihr nicht hier lebt?“
   „Naja, hier werden meine Fähigkeiten weniger benötigt und in Steinhafen gibt es dieses fantastische Lokal. Ein besseres Spanferkel habe ich noch nirgendwo gegessen. Aber ich sollte langsam los. Meine Frau wundert sich bestimmt schon wo ich denn bleibe.“
   „Dann wollen wir dich nicht länger aufhalten. Du kannst uns später dann mal dieses Lokal zeigen.“
   „Eine gute Idee.“
   Schnell verabschieden sie sich und Samarus sinkt zurück in die weichen Laken. „Ein netter Kerl“, gibt er von sich, während er die leuchtenden Risse in der Decke bewundert. Sie sind zu filigranen Bildern geformt worden.

Verschlafen schlägt er die Augen auf. Cat liegt in seinen Armen.
   Mein wundervolles Kätzchen Ich würd dich zu gerne aufwecken und ein paar versaute Dinge mit dir veranstalten, aber zuerst ruft die Natur.
   Vorsichtig schält er sich aus den Lacken und schaut sich im schummrigen Licht der Risse um. Ein großer Raum. Neben dem Bett, in dem er eben noch lag befinden sich nur einige Regale und Schränke mit Büchern und ein schwerer Vorhang der nach draußen führt.
   Mh, wo ist der Abort? Vielleicht auf dem Flur?
   Vorsichtig zieht er sich an und wandert hinaus. Alleine wandert er durch die Gänge. Der Drachenhort scheint tief und fest zu schlafen.
   Ich könnt schwören das Licht ist viel dunkler als heut Abend. Ob sie es abdunkeln können? Das muss ich Cat morgen unbedingt fragen.
   Nach fast einem halben Glockenschlag der Suche gibt er entnervt auf.
   Das gibt es doch nicht. Hier in dieser großen Halle ist auch keiner. Wo zum Geier ist deren Abort? Es kann doch nicht sein das hier nirgendswo einer ist. Als ob Drachen keinen …? brauchen Drachen überhaupt einen? Darüber hab ich nie was gelesen. Verdammt, was wenn die so etwas nicht besitzen? Na klasse, was mach ich denn jetzt? Mh.
   Schnell sieht er sich um. Niemand da.
   Kurz zuckt er mit den Schultern, geht an die nächstbeste Wand, schnürt seine Hose auf und entlädt seine Blase.
   „Ah … das tut gut.“

Als er endlich fertig ist macht er erleichtert seine Hose wieder zu.
   „Das war nötig“, murmelt er vor sich hin.
   Auf einmal beginnt der Boden zu beben. Die Wand vor ihm erzittert.
   Verdammt was geht denn jetzt ab? Bricht der Vulkan aus?
   Von der hohen Decke rieseln kleine Steinchen herab und als er nach oben blickt erstarrt er. Ein riesiges Auge, das selbst ihn überragt, steckt da oben in der Wand.
   Was, das ist keine Wand? Seine Kinnlade klappt herunter.
   Das Auge erfasst ihn. Zuerst sein Gesicht, dann wandert sein Blick hinunter zur Pfütze an seinem, nun ja? Bein? Dann geht der Blick wieder zurück zu seinem Gesicht, wieder runter und wieder hoch.

Erschrocken richtet sich Catherine auf.
   „Was zum …?“ Ein gewaltiges Dröhnen erschüttert den Berg.
   „Vater!“, panisch springt sie aus dem Bett. „Samarus, wach auf, irgendwas stimmt mit Vater nicht. Samarus?“
   Das aufgewühlte Bett ist leer.
   Wo? Beim Leviatan, was hast du gemacht?
Schnell rennt sie durch die Gänge, zusammen mit vielen anderen ihrer Artgenossen. Alle auf dem Weg zu ihrem Allvater. Je näher sie kommt, desto deutlicher hört sie das Grölen und als sie es endlich durch den Vorraum hinein in den Saal des Kaisers geschafft hat, versteht sie es richtig. Es ist ein tiefes Lachen.
Dort steht er vor ihm.
   „Vater, Sam!“, sie packt Samarus und dreht ihn zu sich herum. „Was hast du getan?“
   „Ich äh, ich musste mal und hab den Abort gesucht und also …“
   Sein Blick geht kurz nach hinten, da entdeckt sie die Pfütze. „Das hast du nicht getan. Nein, das hast du nicht“, sie schüttelt den Kopf. „Du hast meinen VATER ANGEPINKELT?“, brüllt sie ihn an.
   Samarus hebt beschwichtigend die Arme. „Naja, es war dunkel.“
   „Es war DUNKEL? Ich gebe dir gleich Dunkel! Was ist aus ‚ich veranstalte schon nichts Peinliches‘ geworden?“
   Ein diebisches Grinsen stielt sich in sein Gesicht. „Hab mich wohl geirrt.“
   Das bringt das Fass zum überlaufen. Catherine holt aus, schlägt mit voller Wucht zu und … schlägt durch ihn durch. „Was zum?“
   Sein Körper löst sich auf bis er vollständig verschwunden ist.
   „Schattenmagie! Samarus du feige Ratte. WO STECKST DU?“, brüllt sie in die Halle.
   Wieder wird der Raum erschüttert. Eine von Leviatans gewaltigen Klauen ist zu Boden gekracht. Erschrocken starren sie alle an. Nachdem sich der Staub verzogen hat fällt der Blick auf einen zusammengezuckten Samarus, der zwischen den riesigen Klauen gefangen ist.
   „Elender Verräter!“, zischt er den gewaltigen Drachen an, der erneut mit seinem tiefen Lachen den Hort erschüttert.

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