Mittwoch, 13. März 2013

DK 09 Angst


 „Sie haben eine weitere Stadt angegriffen!“
   Catherine dreht sich verwirrt um und sieht ihren aufgewühlten Ehemann in der Tür stehen. „Wer?“
   „Na wer wohl. Ein Drache natürlich. Ohne Vorwarnung hat er ein Großteil des Viehs niedergemetzelt. Die Bewohner von Tiefenbrug haben versucht ihn zu vertreiben, was definitiv keine gute Idee war. Er ist vollkommen ausgetickt und hat die halbe Stadt in Brand gesetzt. Erst als die Wächter zur Stadt kamen, hat sich dieser Feigling vom Acker gemacht. Über vierzig Menschen sind bei dem Feuer umgekommen. VIERZIG!“, brüllt er.

   „Verdammt. Sie werden immer aggressiver. Diese elenden Vulkangeborenen“, murmelt sie.
   Er hält inne. „Moment, was hast du gesagt? Vulkangeborene? Von denen hör ich zum ersten Mal.“
   „Ich hätte dir wohl schon früher von ihnen erzählen sollen. Ihre Gruppierung gewinnt immer mehr an Kraft nach dem Tod unseres Vaters. Ihr Anführer ist ein noch recht junger Drache namens Marek. Du erinnerst dich bestimmt noch an ihn.“
   Er reibt sich die Rippen. „Ja, leider.“
   „Für sein Alter ist er schon ziemlich groß und mächtig. Manche sagen sogar, er könnte irgendwann so stark wie unser Vater werden. Die Vulkangeborenen setzen sich dafür ein den Drachen wieder ihren ursprünglichen Platz in der Nahrungskette einnehmen zu lassen.“
   „Ihren ursprünglichen Platz in der Nahrungskette?“, er spuckt aus, „sprich es doch direkt aus. Sie wollen die Menschheit unterwerfen!“
   „Vermutlich, aber sie sind nur eine kleine Gruppe! Ihre Meinung ist nicht die aller Drachen!“
   „Ach und was ist die Meinung aller Drachen? Das war bereits der dritte Übergriff auf eine unserer Siedlungen innerhalb dieser Woche! Wieso unternehmen die Anderen nichts gegen ihre Artgenossen?“
   Sie sieht zu Boden. „Nach Vaters Tod herrscht Chaos. Er hat ein riesiges Machtvakuum hinterlassen. Sie streiten über die Zukunft unseres Volkes.“
   „Ach und da sind sie nicht einmal in der Lage ihr Bedauern auszusprechen? Nicht einmal die kleinste Anteilnahme? Nichts! Das schockt mich am Meisten. Sie akzeptieren es einfach das diese Vulkangeborenen uns angreifen.“
   Catherines Kopf ruckt hoch, ihre Augen weiten sich. „Aber …“
   „Kein aber“, fällt er ihr ins Wort. „So ist es doch. Das kannst du nicht leugnen. Ich versteh nur nicht wieso …“
   Stille erfüllt den Raum. Gerade als sich Samarus entnervt abwenden will, gibt sie ihm seine Antwort: „Sie haben Angst.“
   „Angst? Vor den Vulkangeborenen? Ich dachte es sind nicht so viele und dieser Marek mag zwar stark sein, aber es gäbe doch genug andere Drachen, die sich mit ihm messen könnten.“
   Sie schüttelt ihren Kopf wobei ihre lange braune Mähne hin und her schwingt. „Nein, nicht vor ihnen. Sie haben Angst vor euch.“
   Geschockt sieht er sie an. „Vor uns?“
   „Ja, sie haben Angst vor den Menschen.“
   „Moment, das verstehe ich nicht. Wieso sollten die Drachen Angst vor uns haben?“
   Ihre Stimme wird leiser. „Weist du was ein Drachenjäger ist?“
   Verwirrt sieht er sie an. „Ein Drachenjäger?“, er überlegt kurz. „Die Bezeichnung kommt mir bekannt vor. Ja, genau. So ein Typ hat sich und seine Leute so genannt, aber das war eigentlich ein uralter Beruf. Damals vor dem Friedenspakt gab es einige Menschen, die sich auf die Jagd nach Drachen spezialisierten. Durch die häufigen Übergriffe auf menschliche Siedlungen gab es viele Menschen die gut für das Erlegen eines Drachen bezahlt haben. Es gibt auch Sagen über besonders geschickte Kämpfer. Sie haben mit magisch verstärkten Waffen gekämpft oder aus den Gebeinen ihrer Beute geschnitzte Speere“, er hält inne. „Aber das ist Ewigkeiten her. Ich verstehe nicht was du mir damit sagen willst.“
   „Es ist leider nicht Ewigkeiten her. Diesen Beruf gibt es immer noch. Insbesondere in den ländlichen und gebirgsnahen Regionen gibt es sie. Sobald sich ein Drache in der Nähe eines Dorfes zeigt, werden sie gerufen und dann jagen sie ihn. Sobald sie ihn gestellt haben ermorden sie ihn und weiden ihn aus. Sowohl sein Fleisch als auch seine Knochen werden dann verkauft. Auch nach Steinhafen. Besonders nach Steinhafen!“
   Er sieht sie entsetzt an. „Aber die Wächter, sie würden sie doch sofort festnehmen …“
   „Ha! Nein, die Wächter sehen einfach weg. Sie interessieren sich einen Scheiß für einen toten Drachen!“
   „Aber …“
   „Kein aber!“, brüllt nun sie ihn an. „Über dreihundert Drachen wurden im letzten Jahr getötet! Nicht einer dieser Mörder wurde festgenommen, geschweige denn verurteilt. Sobald wir versuchen selber zu ermitteln werden uns Steine in den Weg gelegt!“
   Samarus schüttelt ungläubig seinen Kopf. „Das kann ich nicht glauben.“
   „Das musst du. Es ist die Wahrheit. Durch den Friedenspakt ist es jedem Drachen verboten sich an Menschen zu vergreifen und Leviatan hat dieses Gesetz gnadenlos durchgesetzt. Aber bei euch?“, sie schüttelt angewidert den Kopf. „Insbesondere in den letzten zehn Jahren ist es immer schlimmer und schlimmer geworden.“
   Geschockt setzt Samarus sich.
   „Was glaubst du warum wir nicht offen unter euch leben? Warum wir sagen wir wären Menschen? Weil wenn wir uns offenbaren, wir damit rechnen müssten, uns könnte jemand im Schlaf die Kehle durchschneiden und unsere Innereien auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Niemand würde versuchen den Täter davon abzuhalten, geschweige denn zu bestrafen.“
   „Das wusste ich nicht. Das wusste ich wirklich nicht. Scheiße ich hatte keine Ahnung das ...“ Ein Grauen packt ihn als er es begreift: „Deswegen hast du mich so angesehen als ich dir offenbart hatte, ich wüsste, was du bist?“ Er springt auf und läuft panisch durch den Raum. „Ich muss dir eine Höllenangst eingejagt haben. Scheiße, du hattest Angst um dein Leben. Ich wollte nicht, ich hätte nie …“
   Catherine hält ihn auf und umarmt ihn. „Das weiß ich jetzt und das wusste ich auch schon damals. Du würdest niemals jemanden etwas über mich verraten. Das weiß ich doch.“ Sie lächelt ihn an und als er sich endlich entspannt gibt sie ihn einen sanften Kuss auf den Mund.
   „Komm, wir müssen immer noch einkaufen.“ Sie greift ihn am Arm und zieht ihn hinaus aus ihrer gemeinsamen Wohnung.

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