Dienstag, 12. März 2013

DK 10 Hass


 „Ich kann das immer noch nicht glauben … sieben Jahre und du hast mir nie erzählt wie angespannt die Lage zwischen Menschen und Drachen wirklich ist.“
   Sie wird langsamer. „Ich wollte dich nicht beunruhigen. Dich hat es nie gekümmert was ich nun bin, warum sollt ich dich dann mit etwas belasten, was du eh nicht ändern … Moment, sieben Jahre?“, sie reibt sich die Stirn. „Neun … wir sind seit neun Jahren zusammen. Kann doch nicht so schwer sein sich das zu merken, oder?“
   „Weiß ich doch, hab auch nicht ab unserem ersten Treffen gezählt.“
   „Mh? Von wann dann?“, fragt sie ihn verwirrt.

   „Von unserem ersten Mal ohne Schutz.“
   „Was?“, brüllt sie ihn an. Sie wird knallrot und sieht sich schnell um. Keiner in der Nähe. Sie sind alleine in der Gasse.
   Mit gehobenen Zeigefinger erklärt er es ihr: „Ab da beginnt wahres Vertrauen.“
   Catherines Gesicht verzerrt sich zu einer Mischung aus verdutztem Erstaunen und einen guten Schuss Ekel. „Du … du … du hast echt einen Knall.“
   „Ich dich auch, ich dich auch.“

„Ach, wo wir gerade beim Thema sind …“
   „Ich glaub das will ich gar nicht hören“, gibt sie schnaubend zur Antwort.
   „… müssen wir noch zu dieser komischen Kräuterfrau für deine ‚Medizin‘?“
   „Ich wusste es doch und nein, wir brauchen nur etwas Salat, Gemüse und Fleisch für heut Abend.“
   „Ah, meine Lieblingsspeisen. Naja, bis auf das Gemüse und den Salat.“

Inzwischen haben beide das Magierviertel, was sich um den Zirkel herum zieht, verlassen und nähern sich dem größten Marktplatz der Oststadt.
   „Mh, ich glaub ich muss noch einmal unser vorheriges Thema aufgreifen …“
   „Wenn du mich jetzt nach meinen Zyklus fragst hau ich dir den Korb solange gegen deinen Schädel bis du nicht mehr zuckst!“, zischt sie ihn an.
   „Doch nicht dieses Thema.“ Samarus hebt beschwichtigend die Arme. „Ich mein worüber wir davor geredet haben.“
   „Oh“, der wütende Ausdruck verschwindet sofort aus ihrem Gesicht.
   „Deinen Zyklus kenn ich sowieso auswendig.“
   Da ist er wieder.
   „Nein, mich beschäftigt es wieso ich davon nie so richtig etwas mitbekommen habe. Ja gut, da waren diese Typen aus Tijef, aber ansonsten? Bei uns im Dorf waren nie Drachenjäger. Ok, meine Tante hat mir gerne einmal ein paar Geschichten über Drachen erzählt, aber die haben eher meine Neugierde geweckt als alles andere. Es war nie so, als ob man voller Hass über Drachen geredet hätte. Ich erinnre mich daran: Einmal kam ein Junge aus unserem Dorf angerannt und hat felsenfest behauptet er hätte einen Drachen gesehen. Aber als wir dahin gerannt sind wo er ihn gesehen hatte, war da nichts und wir haben ihn nur ausgelacht.“
   „Ich weiß es nicht. Regionale Unterschiede?“
   „Mh?“
   „Grauwald liegt fern ab von jedem Gebirge und mitten in einem großen Wald. Das sind beides keine Gebiete in denen Drachen gerne leben. Vermutlich wurde die Stadt nie von einem Drachen angegriffen.“
   Er denkt nach. „Das könnte sein. Ich wüsste auch nicht, es hätte in den Nachbarstädten jemals Drachenangriffe gegeben. Wir hatten wohl nie ernsthaft Berührungen mit den Drachen. Tijef liegt näher am Drachenhort und befindet sich auch nicht in der Nähe von großen Wäldern. Dort waren Angriffe früher vermutlich die Regel. Wenn wir zurück sind, kannst du mir dann mehr über die Konflikte erzählen?“
   „Sicher doch, aber lass uns jetzt erst mal  … Hey! Pass gefälligst auf!“
   Ein Mann drängelt sich unsanft an ihr vorbei.
   „Was ist denn da vorne los?“
   In der Mitte des Platzes, wo normalerweise zu diesem Glockenschlag die Puppenspieler ihre Künste präsentieren, hat sich eine große Ansammlung von Menschen gebildet. Sie umringen eine provisorisch aufgebaute Bühne, auf der ein einzelner Mann steht.
   „… abgeschlachtet. Ob Junge oder Alte, ob Männer oder Frauen, diese Monster haben sie alle abgeschlachtet. Erst die herbeieilenden tapferen Wächter konnten unter schweren Verlusten diese Abscheulichkeiten vertreiben …“
   „Scheiße.“
   Beide nähern sie sich weiter der Plattform, bis die Menge zu eng steht.
   „Da seht ihr es, das halten diese Monster von dem Friedenspakt! Aber was wird dagegen unternommen frage ich euch? Nichts! Der Stadtrat schickt Briefe an diese Monster. BRIEFE!“, brüllt. „Als ob diese Degenerierten lesen könnten! Glaubt ihr tatsächlich diese Bestien könnte man damit aufhalten? Erst Mott, dann Tesis, danach Kleinfeld und nun Tiefenbrug! Welche Stadt kommt als Nächstes frage ich euch? Wie lange wird es dauern bis …“
   „Woher weiß dieser Bastard von Tiefenbrug? Ich hab diese Information gerade erst vom Erzmagier bekommen. Nur der Stadtrat, der Zirkel und die Wächter wissen davon“, flüstert er Catherine zu.
    „Solche Informationen verbreiten sich leider wie ein Lauffeuer, vielleicht hat ein Diener davon Wind bekommen. Wir müssen die Wächter informieren, ansonsten entsteht noch ein Aufruhr.“
   Er hält sie am Arm fest. „Zu spät, sie wissen bereits davon.“ Er nickt in Richtung einer kleinen Gruppe von gerüsteten Männern, die das Wappen der Wächter tragen. Zwei von ihnen recken ihre Fäuste in die Höhe und der Rest brüllt mit der Menge.
   „Nein, das kann nicht sein …“, der Schock sitzt tief in ihr.
   „Wir müssen uns wohl etwas anders überlegen“, sagt Samarus und sieht sich weiter um.
   „Sie sind doch bereits unter uns!“, brüllt ein weiterer Mann, während er sich auf die Bühne hochzieht.
   „Was? Was meint ihr?“, wundert sich der Redner.
   „Diese Teufelsbrut nutzt verbotene Magie um ihre Gestalt zu ändern. Diese Kreaturen sind längst unter uns! Sie haben sich unter uns gemischt, um uns zu manipulieren, um Leid und Krankheiten zu verbreiten. Sie lassen uns für sie schuften und beuten uns aus!“
   Die Menge hält geschockt den Atem an. Der neue Redner hält inne und strafft erst einmal sein Talar, er wirkt wie ein Priester.
   „Verflucht, das wird ja immer besser. Wir müssen sie zum Schweigen bringen …“, Samarus stockt. Verwirrt sieht er sich um. „Irgendwas stimmt nicht.“
   Der Redner fährt fort: „Aber nicht mit uns! Wir halten sie auf! Wir lassen uns nicht hinters Licht führen! Denn wir wissen wer sie sind!“, dramatisch zieht der Mann ein Stück Pergament aus seiner Tasche. „Ja wir wissen wer sie sind. Wir haben die Namen von jeden Einzelnen dieser Teufel!“
   Verwirrt starrt Catherine das Pergament an. „Was? Das ist unmöglich. Es gibt keine Liste, es kann keine Liste geben, woher sollten …“
   „Thomas Mühlstein! Sophie Strein! Anna Kranz! ...“
   Catherines Korb fällt zu Boden. „Nein.“ Ihr Körper zittert am ganzen Leib. „Nein, das kann nicht sein.“ Ihre Worte sind nicht mehr als ein Flüstern.
   „… Markus Sind, Theodor Asmuth …“
   Vollkommen panisch versucht sie sich nach vorne durchzudrängeln, ehe sie von Samarus zurückgezogen wird.
   „Was tust du? Lass mich los!“, kreischt sie ihn an.
   „Das ist eine Falle!“
   „Was?“
   „Das ist alles inszeniert. Sieh dich doch um!“ Unauffällig zeigt er auf eine Gruppe außerhalb der Menge. Ruppige Männer und Frauen in Lederrüstungen. Sie tragen mit Runen verzierte Waffen, die wie Zähne wirken, Drachenzähne.
   „Drachenjäger“, flüstert sie während er auf die anderen Gruppen zeigt.
   „… Theresas Minne, Olivia Stein …“, redet der Mann auf der Bühne weiter.
   Insgesamt sind es fünf lose Gruppen alleine in ihrem Sichtfeld. Zwei davon sind in der Menge und feuern die Meute weiter an.
   „Außerdem weiß ich jetzt was hier nicht stimmt. Du kannst dich doch auch nur schwer auf was anderes konzentrieren oder?“
   „… Ernst Zimmer, Kasus Imbruch ...“
   „Ich verstehe nicht ganz … Ja! Ja du hast recht.“
   „Irgendwer nutzt hier subtile Schattenmagie um Ablenkungen zu verhindern.“
   „Dann müssen wir diesen Magier finden und den Zauber unterbrechen!“
   „Zu spät, die Menge steht kurz vor einem Ausbruch.“
   Und tatsächlich werden die Leute um sie herum immer wilder. Sie brüllen ihren Hass gegen die Drachen aus vollem Halse heraus. Keiner ruft mehr nach Mäßigung.
   „Aber …“
   „… Karolin Pfeil, Diamedes und Valera Trint, Franz Küstel …“
   „Diamedes und Valera? Trint? Nein. Nein, das hat er gerade nicht gesagt. Bitte, das hat er grad nicht gesagt?“, Verzweiflung packt sie.
   „Wir müssen zu ihnen.“, hektisch sieht er sich um, „wir müssen zu ihnen, bevor es der Mob schafft.“ Er packt sie und zieht sie mit sich, raus aus der Menge.

Weg von der Menschenmenge werden die Wege immer freier und Catherine immer schneller. Sie wird so schnell, dass Samarus schon bald weit zurückfällt.
   Schneller als eine Raubkatze, verdammt ich verlier sie. Notgedrungen nutzt er seine eigenen Fähigkeiten. Mit jedem Schritt überwindet er eine weitere Strecke. Erst vier, dann acht, dann zwölf und zu guter Letzt befindet er sich nach jedem neuen Schritt über siebzehn Fuß weiter entfernt.
   Erstaunt sieht sie zur Seite. „Wie machst du das?“
   „Schatten- …“, er verschwindet, „… -schritt“, und taucht wieder auf, „Kurz …“, Schatten hüllen ihn ein, „… Distanz …“, seine Adern sind pechschwarz, „… Teleportation.“
   „Kannst du nicht …?“
   „Nein.“
   Und sie versteht.
   Ich kann uns nicht direkt zu ihnen teleportieren. Schon diese kleinen Distanzen brennen mir regelrecht das Wasser aus den Adern. Kurz nachdem sie die Portalbögen durchquert haben, die die einzelnen Stadtteile voneinander trennen, entdecken sie die Ersten.
   Leichen, halb verbrannte Leichen.
   Überall liegen zerstörte Wagen und verbrannte Kleidungsfetzen.
   „Scheiße, hier war dieses Aufwieglerpack sogar noch früher“, flucht Catherine.
Wie ich es mir gedacht hatte. Sie müssen auf allen Plätzen in der Stadt ihre Leute verteilt haben. „Ja“, gibt er kurzatmig zurück. Verdammt, sie wird sogar noch schneller.

   Als sie auf den Hauptplatz der Nordstadt kommen, bricht um sie herum das Chaos aus. Überall rennen Menschen panisch davon, während andere mit wutverzerrten Gesichtern und improvisierten Waffen auf die Jagd gehen. Ein kurzer Blick über den Platz und Samarus entdeckt in einer Seitengasse einen Drachen, der eine ganze Gruppe von Menschen in Flammen steckt, ehe er von einigen Speeren getroffen zu Boden geht. Die Überlebenden stürzen sich auf ihn.
   Fuck.
   Catherine erreicht als Erste die Prachtstraße, in der das bescheide Haus der Trints steht. In der Straße herrscht das Chaos, überall rennen Menschen herum. Mehrere Häuser in der Nähe haben bereits Feuer gefangen. Rauch blockiert die Sicht. Gerade als sie eine Frau aus den Weg stößt entdeckt Catherine sie:
   Valera und Diamedes werden aus ihrem Haus gezerrt. Diamedes versucht die drei Männer, die ihn gepackt haben, abzuschütteln, während in diesem Moment ein in Lumpen gehüllter Mann eine Sichel zieht und Valera mit einer schnellen Bewegung die Kehle durchschneidet.
   „V, Val?“, Catherine kommt abrupt zum Stehen.
   Endlich holt Samarus sie wieder ein und muss mit ansehen wie Valera zu Boden sackt, ihr Kopf unnatürlich wippend. Zu spät
   Diamedes starrt voller Unglauben seine eigene Frau an und noch ehe die Erkenntnis über seine Gesichtszüge brandet, fangen bereits die Männer, die ihn eben noch festgehalten haben, an zu brennen. Schneller als Samarus es jemals beobachtet hat verwandelt sich Diamedes in seine wahre Gestalt. Vermutlich hätte er in diesem Moment gebrüllt, aber er hat bereits sein Maul in einen der Mörder seiner Frau geschlagen und während er diesen in Fetzen reißt, zertrümmert Diamedes einen der hinzueilenden Drachenjägern mit seinem Schwanz den Schädel samt Helm.
   Doch die routinierten Drachenjäger fassen sich schnell und der erste hat bereits seine mit Runen verstärkte Lanze in die Flanke von Diamedes gerammt.
   Mit weit aufgerissenen Augen beobachtet Samarus diesen Kampf. Er hat keine Chance, es sind zu viele, viel zu viele.
   Es kommen immer mehr dieser gerüsteten Krieger aus den umliegenden Gassen gestürmt.
   Eine gewaltige Hitzewoge trifft ihn von der Seite. Catherine ist in Flammen gehüllt. Ihr wutverzerrtes Gesicht offenbart mehrere Reihen messerscharfe Zähne, als sie ein brutales Brüllen von sich gibt.
   „Nein. Nein, das sind zu viele!“, verzweifelt versucht er sie festzuhalten. Seine Haut schlägt Blasen sobald er sie berührt, aber trotzdem hält er sie mit all seiner Kraft fest. „Das sind zu viele!“, brüllt er in ihr Ohr.
   „Lass mich los!“, schreit ihn Catherine an, abgrundtiefer Hass steht ihr ins Gesicht. Sie windet sich in seinen Armen, während er sie zu Boden wirft und schnell mehrere Schattenfesseln wirkt, um sie aufzuhalten.
   In diesem Moment trifft Diamedes die zweite Lanze, sein schmerzverzerrtes Brüllen erschüttert die Häuser.
   „Nein!“ Sie windet sich immer weiter während Samarus verzweifelt mehrere Zeichen in den Boden schreibt.
   „Hör auf, ich muss zu ihm!“
   „Es tut mir Leid“, entschuldigt sich Samarus vollkommen außer Atem. „Es tut mir so leid.“
   „Dia!“
   Das letzte Zeichen ist fertig und in dem Moment, als die Welt um sie herum zerreißt um sich vollkommen neu wieder aufzubauen, wird Diamedes von der letzten Lanze in die Kehle getroffen.
   Verzweifelt schluchzt Catherine: „Didi …“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen