Sie hasst mich. Ja,
das tut sie. Ich sehe es in ihren Augen. Aber hat sie nicht alles Recht dazu?
Ich habe sie aufgehalten, ich habe dran gehindert ihren Bruder zu retten …
Meinen besten Freund. Aber hätte sie ihn überhaupt retten können? Da waren so
viele von ihnen, alles erfahrene Drachenjäger. Die haben nicht einmal mit der
Wimper gezuckt als ihre Kameraden neben ihnen in Flammen aufgingen. Hätten wir,
nein, hätte sie eine Chance gehabt? Ich war nutzlos, den Sphärensprung hab ich
nur gerade so überlebt. Ob sie es geschafft hätte? Ich glaube nicht … Oder
denke ich nur so weil ich Angst hatte? Angst wovor? Angst um mein Leben? Angst
um ihr Leben? Val … eine Handbewegung und ihr Leben war zu Ende. Was wenn es
Cat gewesen wäre?
„Was ist?“
Samarus blinzelt. „Bitte?“
Catherine Blick
wird wütend. „Du stehst seitdem du reingekommen bist wie angewurzelt vor mir.
Was ist los?“
„Ja ich … ich
weiß jetzt wer für die Pogromnacht verantwortlich war.“
Sie versteift
sich sichtlich. „Wer?“
„Ratsmitglied
Serow Kubrat.“ Als sie nichts sagt und nur ins Leere starrt fährt er fort: „Er
hat in letzter Zeit einen enormen gesellschaftlichen Sprung gemacht. Sein
Aufstieg kommt hauptsächlich von seiner Haltung gegenüber den Drachen. Er gilt
als großer Befürworter eines Krieges und ist damit sehr beliebt beim Volk und
natürlich dem Militär. Nicht bei den alten Kampferfahrenen, aber bei den
Jungspunden, den Bälgern des Adels. Durch ihren Einfluss hat er es in den Rat
geschafft. In der Öffentlichkeit versucht er nicht einmal die Pogromnacht zu
leugnen, wie die anderen Ratsmitglieder es tuen. Er sagt einfach nur, sie
hätten diese Eskalation provoziert …“, er ballt die Fäuste und erst als er
langsam ausatmet, schafft er es weiterzureden: „Auf jeden Fall hatte ich ihn
deswegen schon länger im Verdacht, aber erst heute Morgen konnte ich ein
Treffen zwischen einem seiner Diener und führenden Mitgliedern der Drachenjäger
beobachten. Es sieht so als wäre ihr Plan die Drachenjäger zu Beginn des
Krieges als rettende Eliteeinheit oder so vorzustellen. Der Sold dafür wäre
natürlich außerordentlich hoch und würde direkt von der Stadt kommen.“
Ihre Stimme ist
leise und düster. „Das Alles nur wegen Macht und Geld?“ Es wirkt als würde sie
zu sich selbst sprechen. „Ich hätte ihn damals die Kehle rausreißen sollen …“
„Was meinst du?“
„Nichts, hast du
noch etwas herausgefunden?“
„Nein … Ja doch,
die Liste. Es war wie du vermutet hattest. Auf ihr standen alle die während des
Massenkomas in Hospitale eingeliefert wurden. Das erklärt auch warum du nicht
drauf standest. Hätte ich damals nicht befürchtet, man hätte dich direkt
angegriffen und ich deswegen einen falschen Namen angegeben hätte, wären sie
wohl auch hinter dir hergewesen.“
„Ja, was für ein
Glück“, gibt sie sarkastisch als Antwort zurück.
„Es tut mir
Leid.“
„Das hast du
schon einmal gesagt.“
„Ich meine es
jedes Mal ernst“, antwortet er ihr aufrichtig.
„Ich weiß.“ Sie
steht auf und geht ans Fenster. Aus der Ferne beobachtet sie wie die gerade
ankommende Dritte Flotte zum Rest der Seestreitmacht von Steinhafen
aufschließt. Die gesamte Bucht ist voller Kriegsschiffe. „Bald werden sie das
erste Mal richtig aufeinander treffen“, sinniert sie.
„Ja, die Vulkangeborenen haben ihre
Kriegsanstrengen massiv erhöht. Sie haben jede Stadt bis zur ihrer Küste
eingeäschert.“
„Kein Wunder.
Nach diesem Massaker gab es nicht einen Drachen im Hort, der gegen den Krieg
war. Sie alle wollen Rache. Man hat versucht selbst mich zu rekrutieren“,
offenbart sie ihm.
Er schaut sie
nervös an.
„Ich habe
abgelehnt, falls du das fragen wolltest.“ Mit diesen Worten dreht sie sich
wieder zu ihm um.
„Selbst wenn,
könnte ich es dir nicht verdenken ...“
Catherine
schüttelt nur ihren Kopf. „Ich will nicht für diese Wahnsinnigen kämpfen und
Unschuldige abschlachten. Das ist nicht mein Krieg.“
„Wie haben sie
reagiert?“
„Schlecht. Was
glaubst du denn? Sie halten mich für eine Verräterin.“
„Mh, der Erzmagier
hat mir auch mitgeteilt, der Rat verlangt unsere Unterstützung. Genauer gesagt
verlangt er von uns, uns vorne an ihre Schiffchen zu binden um das Feuer auf
uns zu lenken.“
„Das ist
Irrsinn.“
„Ja, ich will
auch nicht in diesem Krieg kämpfen. Für keine Seite.“
„Sollen wir dann
warten, bis sie uns als Verräter hängen?“
„Ich wär eher
dafür, wir besorgen uns eine kleine Hütte weit im Westen und diese Irren lassen
wir hier sich solange die Köpfe einschlagen, bis ein wenig Verstand
reinsickert.“
„Wir sollen
fliehen?“
„Warum nicht?
Früher oder später endet der Krieg und wir könnten vielleicht sogar wieder
herziehen.“
„Mh.“
Während
Catherine sich diesen Vorschlag durch den Kopf gehen lässt schenkt er sich
einen Tee ein.
Ob sie darüber nachdenkt, ob sie vor dem
Krieg fliehen soll oder ob sie vor mir fliehen soll?
„Gut.“
„Gut?“
„Ja, ich denke
auch eine Flucht wäre das Beste. Du hast bestimmt schon einen Plan oder?“
„Ähm naja ...“
Der riesige Hengst schnaubt ihr direkt ins Gesicht.
„Uff.“ Sie
betrachtet erstaunt die Kutsche vor sich. Massiv gebaut und von vier Pferden
gezogen.
Der alte
Kutscher blickt sie unter schweren Liedern heraus an. „Das sin die besten Gäule
aus unsrem Stall, Ma`am. Schneller kommen se nur aufm Drachen wohin.“
„Ich glaub in
diesen Tagen ist das keine gute Idee“, wendet Samarus ein.
„Da ham se
vielleicht recht, Sir“
„Können wir uns
kurz unterhalten?“, fragt ihn Catherine.
„Sicher. Boris,
sind sie so gut und tränken die Tiere? Wir werden bald aufbrechen.“
„Natürlich,
Sir.“
Als sie sich ein
wenig entfernt haben, schaut ihn Catherine verwundert an. „Du hast echt eine
Kutsche samt Kutscher gekauft?“
„Kannst du eine
Kutsche bedienen?“
„Nein.“
„Siehst du, ich
auch nicht“, antwortet er ihr. „Boris ist erfahren und er stellt wenig Fragen.
Außerdem kann er den Krieg auch nicht ab und will raus aus der Stadt.“
„Na gut, dann
sollten wir wohl anfangen zu packen, oder?“
„Ja.“
Gerade als sie
wieder ins Haus gehen wollen, fällt Catherine etwas ein: „Wir sollten den
Erzmagier über unsere Pläne informieren.“
„Bist du dir
sicher?“, erwidert er besorgt.
„Ich kenn ihn
seit über zwanzig Jahren, er würde uns niemals verraten. Vermutlich würde er
sogar mitkommen, wenn da nicht der Zirkel wäre.“
„Na gut, beeil
dich aber. Hab keine Lust alles alleine zusammen zu packen.“
„Jaja“, erwidert
sie kurz angebunden.
Im Büro des Erzmagiers herrscht noch mehr Chaos als
sonst. Neben den üblichen herumliegenden Büchern und Folianten befinden sich
nun mehrere Hohemagier im Raum. Sie koordinieren die Kommunikation zwischen den
verschiedenen Standorten der Wächter. Sowohl zwischen den Spähposten auf der
anderen Seite des Meeres und ihrem Hauptstützpunkt hier in Steinhafen, als auch
zwischen hier und den Provinzen weit im Landesinneren. Als Catherine den Raum
betritt bemerkt sie der Erzmagier auf Anhieb. Seine Mine hellt sich auf. Auf
den ersten Blick würde wohl niemand auf die Idee kommen das dieser kleine alte
Mann, mit seinen immer zerzausten schlohweißen Haaren und der übergroßen
Brille, einer der mächtigsten Magier des Landes ist und über den ältesten und
mächtigsten Magierzirkel dieser Welt befiehlt.
„Catherine! Ich
bin froh dein Gesicht zu sehen!“ Als er näher an ihr dran steht flüstert er ihr
leise zu: „Wie stehst du es durch?“
„Ich … Es geht,
kann ich euch unter vier Augen sprechen?“
„Sicher.“ Er
führt sie in einen kleinen Nebenraum und nachdem er die Tür geschlossen hat,
spricht er wieder in normaler Lautstärke: „Die Siegel halten immer noch. Du
kannst frei sprechen.“
Sie betrachtet
ihren alten Freund. Er wirkt noch älter
als er eigentlich ist. Ob er in den letzten Tagen geschlafen hat? Sieht nicht
so aus.
„Danke, es geht
um den bevorstehenden Krieg.“
„Das habe ich mir
bereits gedacht. Samarus hat einige kryptische Andeutungen gemacht. Wie geht es
ihm?“
Sie schaut zur
Seite. „Es … Es geht ihm gut.“
„Er macht sich
noch immer Vorwürfe wegen dem was damals passiert ist, nicht wahr? Und du bist
ihm vermutlich keinerlei Hilfe diese Sorgen zu zerstreuen, nicht wahr Miss
Eisprinzessin?“
Dieser Spitzname! Sie wird wütend. „Das
geht euch nichts an!“
„Hat mich das
jemals davon abgehalten mich einzumischen? Du kannst ihm nicht vorhalten, wie
er sich damals verhalten hat, das weißt du selbst nur zu gut, nicht wahr?“
Sie schnaubt nur
als Antwort.
„Nun gut, ich
bezweifle, du bist gekommen um eine Moralpredigt von mir zu erhalten. Weshalb
bist du hier?“
Nach einigen
Minuten der Stille fasst sie sich ein Herz: „Wir werden fliehen, noch heute.“
„Ich nehme an
Samarus hat alles geplant?“
„Also, ähm, ja.“
„Gut, dann
solltet ihr sicher aus der Stadt kommen.“
„Wundert ihr
euch etwa nicht?“
„Und das
ausgerechnet von dir? Dabei hast du viel mehr Lebenserfahrung als ich. Ich habe
so etwas bereits geahnt. Ich werde euer Verschwinden solange decken wie es mir
möglich ist.“
Erleichterung
durchströmt sie. „Ich weiß gar nicht wie ich euch danken soll.“
„Kommt nur
sicher an eurem Ziel an … wo immer das auch ist. Das ist mir Dank genug. Jetzt
komm, lass uns mal sehen was da draußen wieder los ist. Meine Leute sind ja
noch aufgedrehter als sonst.“
Tatsächlich rennen die Hohemagier und Helfer in dem
kleinen Büro hin und her.
„Erzmagier!
Erzmagier! Es gab einen Angriff! Es ist schrecklich!“
„Was? Jetzt
beruhigt euch einmal. Welcher Spähtrupp wurde entdeckt?“, fragt er ihn in
ruhigen Ton.
Der junge Mann
schüttelt seinen Kopf wie wild. „Kein Spähtrupp, sie greifen unsere Provinzen
an.“
„Was? Das ist
unmöglich! Dafür müssten sie erst mal das Meer überquert haben. Wie viele sind
es?“
Provinzen?
„Tausende, es
sieht aus wie ihre Hauptstreitmacht. Die Himmel sind voller Flügel“
„Sie müssten
dafür einen riesigen Umweg geflogen sein, wie konnte das nicht entdeckt werden?
Wie lauten die Berichte genau.“
„Zuerst haben
wir den Kontakt zu Hochstein und Kaltfels verloren. Wir haben sofort versucht
den Kontakt wiederherzustellen, aber da gab es bereits weitere Berichte von
Bergstadt, Grauwald und Blaukiefer …“
Grauwald?
„… es wurden
Bilder projiziert in denen überall Drachen am Himmel waren. Sie haben wie irre
Feuer gespien und die Dörfer und Städte regelrecht verglast …“
Verglast?
„… dann ist auch
deren Kommunikation abgebrochen. Es kommen ständig weitere Berichte rein von …“
Grauwald wurde verglast? Catherine wankt
zurück. Sam.
„Miss? Ist alles
in Ordnung?“
„Ich muss…“, ehe
sie den Satz vollenden konnte, hat sie sich bereits umgedreht und ist durch die
Tür gestürmt. So schnell wie sie ihre Füße tragen können, rennt sie durch die
Gassen zurück zu ihrem Haus. Dort angekommen erblickt sie das, was sie auf
keinen Fall sehen wollte, aber es tief im inneren erwartet hatte. Die
umliegenden Einwohner haben sich versammelt und beobachten beunruhigt wie der
arme Kutscher versucht die vollkommen wahnsinnigen Pferde, wieder unter
Kontrolle zu bekommen. Je näher Catherine kommt desto mehr erkennt sie: Auf der
Straße liegen die Scherben ihrer Fenster verteilt, die Wände ihres Hauses sind
mit Rissen durchzogen und winzige Teilstücke der Fassade schweben losgelöst in
der Luft. Panisch drängt sie sich durch die Menge und stürmt ins Haus.
Erst in Türrahmen ihres Schlafzimmers bleibt sie stehen.
Der Raum ist vollkommen verzerrt, die linke Wand wirkt als hätte man sie von
außen in den Raum hinein geschlagen und an der rechten ist ein so gewaltiger
Riss, dass man leicht zum Nachbargebäude rüber springen könnte. Überall im Raum
schweben Bruchstücke ihres Bettes und Teile des Schrankes herum. Doch das schrecklichste
in diesem Raum kniet dort vor zwei Koffern. „Sam.“
Samarus Adern
sind pechschwarz und er zittert am ganzen Leib, während er wie wahnsinnig
mehrere Zeichen auf den Boden schreibt.
„Ich habe mich
getäuscht“, seine ruhige Stimme passt überhaupt nicht zu seinen hektischen
Bewegungen. „Ich bin davon ausgegangen das dieser Krieg irgendwann endet, eine
Seite zum Verlierer erklärt wird, man einen Friedensvertrag unterschreibt und
dann hat es sich erledigt. Doch das ist nicht das Ziel dieses Krieges. Das Ziel
ist Ausrottung. Am Ende dieses Krieges wird ein ganzes Volk ausgerottet sein.
Das habe ich nun begriffen.“
Sie nähert sich
ihm zögerlich „Sam …“
Aber lässt sich
nicht beirren und schreibt weiter Symbol nach Symbol. „Es werden nicht nur
Stellungen oder Stützpunkte angegriffen, nein, es werden gezielt Zivilisten
angegriffen … Es tut mir Leid.“
„Sam, bitte, was
hast du vor?“
Erst jetzt
blickt er auf und sieht sie an. Seine Augen sind pechschwarz, genau wie die
Tränen die von seinem Kinn tropfen. Seine Verzweiflung ist ihm ins Gesicht
geschrieben. „Es tut mir Leid … aber ich werde dein Volk ausrotten.“
Und mit diesen
Worten beendet er das letzte Symbol und ist verschwunden.
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