Sonntag, 10. März 2013

DK 12 Flucht


Sie hasst mich. Ja, das tut sie. Ich sehe es in ihren Augen. Aber hat sie nicht alles Recht dazu? Ich habe sie aufgehalten, ich habe dran gehindert ihren Bruder zu retten … Meinen besten Freund. Aber hätte sie ihn überhaupt retten können? Da waren so viele von ihnen, alles erfahrene Drachenjäger. Die haben nicht einmal mit der Wimper gezuckt als ihre Kameraden neben ihnen in Flammen aufgingen. Hätten wir, nein, hätte sie eine Chance gehabt? Ich war nutzlos, den Sphärensprung hab ich nur gerade so überlebt. Ob sie es geschafft hätte? Ich glaube nicht … Oder denke ich nur so weil ich Angst hatte? Angst wovor? Angst um mein Leben? Angst um ihr Leben? Val … eine Handbewegung und ihr Leben war zu Ende. Was wenn es Cat gewesen wäre?

   „Was ist?“
Samarus blinzelt. „Bitte?“
   Catherine Blick wird wütend. „Du stehst seitdem du reingekommen bist wie angewurzelt vor mir. Was ist los?“
   „Ja ich … ich weiß jetzt wer für die Pogromnacht verantwortlich war.“
   Sie versteift sich sichtlich. „Wer?“
   „Ratsmitglied Serow Kubrat.“ Als sie nichts sagt und nur ins Leere starrt fährt er fort: „Er hat in letzter Zeit einen enormen gesellschaftlichen Sprung gemacht. Sein Aufstieg kommt hauptsächlich von seiner Haltung gegenüber den Drachen. Er gilt als großer Befürworter eines Krieges und ist damit sehr beliebt beim Volk und natürlich dem Militär. Nicht bei den alten Kampferfahrenen, aber bei den Jungspunden, den Bälgern des Adels. Durch ihren Einfluss hat er es in den Rat geschafft. In der Öffentlichkeit versucht er nicht einmal die Pogromnacht zu leugnen, wie die anderen Ratsmitglieder es tuen. Er sagt einfach nur, sie hätten diese Eskalation provoziert …“, er ballt die Fäuste und erst als er langsam ausatmet, schafft er es weiterzureden: „Auf jeden Fall hatte ich ihn deswegen schon länger im Verdacht, aber erst heute Morgen konnte ich ein Treffen zwischen einem seiner Diener und führenden Mitgliedern der Drachenjäger beobachten. Es sieht so als wäre ihr Plan die Drachenjäger zu Beginn des Krieges als rettende Eliteeinheit oder so vorzustellen. Der Sold dafür wäre natürlich außerordentlich hoch und würde direkt von der Stadt kommen.“
   Ihre Stimme ist leise und düster. „Das Alles nur wegen Macht und Geld?“ Es wirkt als würde sie zu sich selbst sprechen. „Ich hätte ihn damals die Kehle rausreißen sollen …“
   „Was meinst du?“
   „Nichts, hast du noch etwas herausgefunden?“
   „Nein … Ja doch, die Liste. Es war wie du vermutet hattest. Auf ihr standen alle die während des Massenkomas in Hospitale eingeliefert wurden. Das erklärt auch warum du nicht drauf standest. Hätte ich damals nicht befürchtet, man hätte dich direkt angegriffen und ich deswegen einen falschen Namen angegeben hätte, wären sie wohl auch hinter dir hergewesen.“
   „Ja, was für ein Glück“, gibt sie sarkastisch als Antwort zurück.
   „Es tut mir Leid.“
   „Das hast du schon einmal gesagt.“
   „Ich meine es jedes Mal ernst“, antwortet er ihr aufrichtig.
   „Ich weiß.“ Sie steht auf und geht ans Fenster. Aus der Ferne beobachtet sie wie die gerade ankommende Dritte Flotte zum Rest der Seestreitmacht von Steinhafen aufschließt. Die gesamte Bucht ist voller Kriegsschiffe. „Bald werden sie das erste Mal richtig aufeinander treffen“, sinniert sie.
   „Ja, die Vulkangeborenen haben ihre Kriegsanstrengen massiv erhöht. Sie haben jede Stadt bis zur ihrer Küste eingeäschert.“
   „Kein Wunder. Nach diesem Massaker gab es nicht einen Drachen im Hort, der gegen den Krieg war. Sie alle wollen Rache. Man hat versucht selbst mich zu rekrutieren“, offenbart sie ihm.
   Er schaut sie nervös an.
   „Ich habe abgelehnt, falls du das fragen wolltest.“ Mit diesen Worten dreht sie sich wieder zu ihm um.
   „Selbst wenn, könnte ich es dir nicht verdenken ...“
   Catherine schüttelt nur ihren Kopf. „Ich will nicht für diese Wahnsinnigen kämpfen und Unschuldige abschlachten. Das ist nicht mein Krieg.“
   „Wie haben sie reagiert?“
   „Schlecht. Was glaubst du denn? Sie halten mich für eine Verräterin.“
   „Mh, der Erzmagier hat mir auch mitgeteilt, der Rat verlangt unsere Unterstützung. Genauer gesagt verlangt er von uns, uns vorne an ihre Schiffchen zu binden um das Feuer auf uns zu lenken.“
   „Das ist Irrsinn.“
   „Ja, ich will auch nicht in diesem Krieg kämpfen. Für keine Seite.“
   „Sollen wir dann warten, bis sie uns als Verräter hängen?“
   „Ich wär eher dafür, wir besorgen uns eine kleine Hütte weit im Westen und diese Irren lassen wir hier sich solange die Köpfe einschlagen, bis ein wenig Verstand reinsickert.“
   „Wir sollen fliehen?“
   „Warum nicht? Früher oder später endet der Krieg und wir könnten vielleicht sogar wieder herziehen.“
   „Mh.“
   Während Catherine sich diesen Vorschlag durch den Kopf gehen lässt schenkt er sich einen Tee ein.
   Ob sie darüber nachdenkt, ob sie vor dem Krieg fliehen soll oder ob sie vor mir fliehen soll?
   „Gut.“
   „Gut?“
   „Ja, ich denke auch eine Flucht wäre das Beste. Du hast bestimmt schon einen Plan oder?“
   „Ähm naja ...“

Der riesige Hengst schnaubt ihr direkt ins Gesicht.
   „Uff.“ Sie betrachtet erstaunt die Kutsche vor sich. Massiv gebaut und von vier Pferden gezogen.
   Der alte Kutscher blickt sie unter schweren Liedern heraus an. „Das sin die besten Gäule aus unsrem Stall, Ma`am. Schneller kommen se nur aufm Drachen wohin.“
   „Ich glaub in diesen Tagen ist das keine gute Idee“, wendet Samarus ein.
   „Da ham se vielleicht recht, Sir“
   „Können wir uns kurz unterhalten?“, fragt ihn Catherine.
   „Sicher. Boris, sind sie so gut und tränken die Tiere? Wir werden bald aufbrechen.“
   „Natürlich, Sir.“
   Als sie sich ein wenig entfernt haben, schaut ihn Catherine verwundert an. „Du hast echt eine Kutsche samt Kutscher gekauft?“
   „Kannst du eine Kutsche bedienen?“
   „Nein.“
   „Siehst du, ich auch nicht“, antwortet er ihr. „Boris ist erfahren und er stellt wenig Fragen. Außerdem kann er den Krieg auch nicht ab und will raus aus der Stadt.“
   „Na gut, dann sollten wir wohl anfangen zu packen, oder?“
   „Ja.“
   Gerade als sie wieder ins Haus gehen wollen, fällt Catherine etwas ein: „Wir sollten den Erzmagier über unsere Pläne informieren.“
   „Bist du dir sicher?“, erwidert er besorgt.
   „Ich kenn ihn seit über zwanzig Jahren, er würde uns niemals verraten. Vermutlich würde er sogar mitkommen, wenn da nicht der Zirkel wäre.“
   „Na gut, beeil dich aber. Hab keine Lust alles alleine zusammen zu packen.“
   „Jaja“, erwidert sie kurz angebunden.

Im Büro des Erzmagiers herrscht noch mehr Chaos als sonst. Neben den üblichen herumliegenden Büchern und Folianten befinden sich nun mehrere Hohemagier im Raum. Sie koordinieren die Kommunikation zwischen den verschiedenen Standorten der Wächter. Sowohl zwischen den Spähposten auf der anderen Seite des Meeres und ihrem Hauptstützpunkt hier in Steinhafen, als auch zwischen hier und den Provinzen weit im Landesinneren. Als Catherine den Raum betritt bemerkt sie der Erzmagier auf Anhieb. Seine Mine hellt sich auf. Auf den ersten Blick würde wohl niemand auf die Idee kommen das dieser kleine alte Mann, mit seinen immer zerzausten schlohweißen Haaren und der übergroßen Brille, einer der mächtigsten Magier des Landes ist und über den ältesten und mächtigsten Magierzirkel dieser Welt befiehlt.
   „Catherine! Ich bin froh dein Gesicht zu sehen!“ Als er näher an ihr dran steht flüstert er ihr leise zu: „Wie stehst du es durch?“
   „Ich … Es geht, kann ich euch unter vier Augen sprechen?“
   „Sicher.“ Er führt sie in einen kleinen Nebenraum und nachdem er die Tür geschlossen hat, spricht er wieder in normaler Lautstärke: „Die Siegel halten immer noch. Du kannst frei sprechen.“
   Sie betrachtet ihren alten Freund. Er wirkt noch älter als er eigentlich ist. Ob er in den letzten Tagen geschlafen hat? Sieht nicht so aus.
   „Danke, es geht um den bevorstehenden Krieg.“
   „Das habe ich mir bereits gedacht. Samarus hat einige kryptische Andeutungen gemacht. Wie geht es ihm?“
   Sie schaut zur Seite. „Es … Es geht ihm gut.“
   „Er macht sich noch immer Vorwürfe wegen dem was damals passiert ist, nicht wahr? Und du bist ihm vermutlich keinerlei Hilfe diese Sorgen zu zerstreuen, nicht wahr Miss Eisprinzessin?“
   Dieser Spitzname! Sie wird wütend. „Das geht euch nichts an!“
   „Hat mich das jemals davon abgehalten mich einzumischen? Du kannst ihm nicht vorhalten, wie er sich damals verhalten hat, das weißt du selbst nur zu gut, nicht wahr?“
   Sie schnaubt nur als Antwort.
   „Nun gut, ich bezweifle, du bist gekommen um eine Moralpredigt von mir zu erhalten. Weshalb bist du hier?“
   Nach einigen Minuten der Stille fasst sie sich ein Herz: „Wir werden fliehen, noch heute.“
   „Ich nehme an Samarus hat alles geplant?“
   „Also, ähm, ja.“
   „Gut, dann solltet ihr sicher aus der Stadt kommen.“
   „Wundert ihr euch etwa nicht?“
   „Und das ausgerechnet von dir? Dabei hast du viel mehr Lebenserfahrung als ich. Ich habe so etwas bereits geahnt. Ich werde euer Verschwinden solange decken wie es mir möglich ist.“
   Erleichterung durchströmt sie. „Ich weiß gar nicht wie ich euch danken soll.“
   „Kommt nur sicher an eurem Ziel an … wo immer das auch ist. Das ist mir Dank genug. Jetzt komm, lass uns mal sehen was da draußen wieder los ist. Meine Leute sind ja noch aufgedrehter als sonst.“

Tatsächlich rennen die Hohemagier und Helfer in dem kleinen Büro hin und her.
   „Erzmagier! Erzmagier! Es gab einen Angriff! Es ist schrecklich!“
   „Was? Jetzt beruhigt euch einmal. Welcher Spähtrupp wurde entdeckt?“, fragt er ihn in ruhigen Ton.
   Der junge Mann schüttelt seinen Kopf wie wild. „Kein Spähtrupp, sie greifen unsere Provinzen an.“
    „Was? Das ist unmöglich! Dafür müssten sie erst mal das Meer überquert haben. Wie viele sind es?“
   Provinzen?
   „Tausende, es sieht aus wie ihre Hauptstreitmacht. Die Himmel sind voller Flügel“
   „Sie müssten dafür einen riesigen Umweg geflogen sein, wie konnte das nicht entdeckt werden? Wie lauten die Berichte genau.“
   „Zuerst haben wir den Kontakt zu Hochstein und Kaltfels verloren. Wir haben sofort versucht den Kontakt wiederherzustellen, aber da gab es bereits weitere Berichte von Bergstadt, Grauwald und Blaukiefer …“
   Grauwald?
   „… es wurden Bilder projiziert in denen überall Drachen am Himmel waren. Sie haben wie irre Feuer gespien und die Dörfer und Städte regelrecht verglast …“
   Verglast?
   „… dann ist auch deren Kommunikation abgebrochen. Es kommen ständig weitere Berichte rein von …“
   Grauwald wurde verglast? Catherine wankt zurück. Sam.
   „Miss? Ist alles in Ordnung?“
   „Ich muss…“, ehe sie den Satz vollenden konnte, hat sie sich bereits umgedreht und ist durch die Tür gestürmt. So schnell wie sie ihre Füße tragen können, rennt sie durch die Gassen zurück zu ihrem Haus. Dort angekommen erblickt sie das, was sie auf keinen Fall sehen wollte, aber es tief im inneren erwartet hatte. Die umliegenden Einwohner haben sich versammelt und beobachten beunruhigt wie der arme Kutscher versucht die vollkommen wahnsinnigen Pferde, wieder unter Kontrolle zu bekommen. Je näher Catherine kommt desto mehr erkennt sie: Auf der Straße liegen die Scherben ihrer Fenster verteilt, die Wände ihres Hauses sind mit Rissen durchzogen und winzige Teilstücke der Fassade schweben losgelöst in der Luft. Panisch drängt sie sich durch die Menge und stürmt ins Haus.
Erst in Türrahmen ihres Schlafzimmers bleibt sie stehen. Der Raum ist vollkommen verzerrt, die linke Wand wirkt als hätte man sie von außen in den Raum hinein geschlagen und an der rechten ist ein so gewaltiger Riss, dass man leicht zum Nachbargebäude rüber springen könnte. Überall im Raum schweben Bruchstücke ihres Bettes und Teile des Schrankes herum. Doch das schrecklichste in diesem Raum kniet dort vor zwei Koffern. „Sam.“
   Samarus Adern sind pechschwarz und er zittert am ganzen Leib, während er wie wahnsinnig mehrere Zeichen auf den Boden schreibt.
   „Ich habe mich getäuscht“, seine ruhige Stimme passt überhaupt nicht zu seinen hektischen Bewegungen. „Ich bin davon ausgegangen das dieser Krieg irgendwann endet, eine Seite zum Verlierer erklärt wird, man einen Friedensvertrag unterschreibt und dann hat es sich erledigt. Doch das ist nicht das Ziel dieses Krieges. Das Ziel ist Ausrottung. Am Ende dieses Krieges wird ein ganzes Volk ausgerottet sein. Das habe ich nun begriffen.“
   Sie nähert sich ihm zögerlich „Sam …“
   Aber lässt sich nicht beirren und schreibt weiter Symbol nach Symbol. „Es werden nicht nur Stellungen oder Stützpunkte angegriffen, nein, es werden gezielt Zivilisten angegriffen … Es tut mir Leid.“
   „Sam, bitte, was hast du vor?“
   Erst jetzt blickt er auf und sieht sie an. Seine Augen sind pechschwarz, genau wie die Tränen die von seinem Kinn tropfen. Seine Verzweiflung ist ihm ins Gesicht geschrieben. „Es tut mir Leid … aber ich werde dein Volk ausrotten.“
   Und mit diesen Worten beendet er das letzte Symbol und ist verschwunden.

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