Völlig außer Atem bleibt Reth an der Wegbiegung stehen
und linst um die Ecke.
Nichts. Weiter. Schnell sprintet er durch die Gasse.
Vor knapp einem Glockenschlag hat die Bombardierung
begonnen. Doch die Angriffe aus der Ferne waren ihnen dieses Mal wohl nicht
genug. Sie sind runter in die Straßen geflogen und haben ihre Flammen durch
jede Ritze, in jedes Haus gejagt. Die Infanterie wurde losgeschickt um sie zu
bekämpfen und im Gegensatz zu den bisherigen Tagen und Wochen haben wir
erstmals einige Erfolge gefeiert. Jeder vierte Drache, der sich zu nah nach
unten traute wurde mit magisch verstärkten Bolzen vom Himmel geholt und
niedergemacht. Doch für jeden von ihnen, sterben hundert von uns. Die Straßen
sind mit Leichen gepflastert. Auch meine
Kompanie hat sich mit einer dieser Bestien angelegt. Doch kurz bevor wir sie
hatten, haben zwei weitere ihren Angriff begonnen. Ihre Flammen sind mitten
durch unseren Trupp gegangen. Scheiße.
Er wird
langsamer als er endlich realisiert was eben passiert ist. Ich hab nur gesehen wie sich dieses Maul geöffnet hat … Ein einziger
Glutofen. Selbst auf dieser Entfernung war die Hitze unerträglich. Dann hab ich
mich auf den Boden geschmissen und erst aufgeblickt als das Dröhnen vorbei war.
Der gesamte Platz hat gebrannt. Um mich herum waren nur Schreie, doch mich
hatte nur eines interessiert: Wo war Toris? Erst als ich ihn auf der anderen
Seite der Flammen sah war ich beruhigt. Er war gerade dabei einen anderen zu
versorgen. Keine Ahnung wer es war, aber so wie er aussah war die Mühe sowieso
vergebens, aber das hat Toris noch nie gekümmert.
Erst in dem Moment hab ich Luken neben mir
wahrgenommen. Die Hälfte seines Körpers war verbrannt, aber er war immer noch
bei Bewusstsein. Also hab ich ihn vorsichtig hochgehievt und ihn mit mir
geschleift. Sollte unser Trupp getrennt werden lautet der Befehl sich am großen
Brunnen in der Oststadt zu treffen. Dort sind noch Magier und ganz wichtig:
Heiler.
Reumütig blickt
er zurück. Dafür kommt es leider für dich
zu spät, Luken. Falls ich das hier überlebe, sag ich deiner Frau wie tapfer du
heute gekämpft hast. Auch wenn du nicht einmal in diesem Krieg mit deiner Waffe
zugeschlagen hast … Reiß dich zusammen Reth. Du musst zum Brunnen, dort wartet
Toris auf dich, er muss.
Reth stürmt durch die Gassen, wobei er bei jeder Biegung
erst einmal vorsichtig um die Ecke schielt und immer wieder nervös in den
Himmel blickt. Regelmäßig sieht er einen Schatten vorbeifliegen und jedes Mal
duckt er sich in einen Hauseingang rein. In der Ferne erklingt das Brüllen von
mehreren Drachen und Kampflärm.
Aber gottseidank alles weit genug entfernt.
Er hastet
weiter, bis er in einer dunklen Gasse auf einmal eine Bewegung sieht und
erstarrt. Seine Augen weiten sich vor Entsetzen als er ungläubig beobachtet was
gerade vor ihm passiert: Eine Frau, in einer weiten Robe gehüllt, schlitzt
einer der halb verbrannten Leichen die Kehle durch, hebt sie hoch und … trinkt
den herausquillenden Blutstrom.
Was? Was ist das?
Als sie ihn
bemerkt starrt sie ihn mit blutunterlaufenden Augen an. „Was? Was starrst du
so?“
Sie lässt die
Leiche unachtsam fallen und versucht sich mühselig aufzurichten. Ihr Mund, Kinn
und Teile der Robe sind blutdurchtränkt. „Starr mich nicht so an!“, brüllt sie
ihn an.
Kurz nachdem sie
sich aufgerichtet hat gerät sie kurz ins Wanken, hält sich den Mund zu und es
wirkt kurz so, als würde sie das eben getrunkene Blut direkt wieder auskotzen,
aber sie fängt sich.
„Glaubst du ich
hab eine Wahl?“, brüllt sie ihn an.
Ihre Haare
beginnen sich leicht aufzurichten während leichte Funken über ihre Haut zucken.
Noch immer steif vor Schock geht Reth vorsichtig zurück. Ihr Gesicht verzerrt
sich vor Wut und aus den Funken werden kleine Blitze die zwischen ihren
Gliedern hin und her zucken, in diesem Moment lässt sie sich leicht nach vorne
fallen und stürmt auf ihn zu.
„Krepier!“,
kreischt sie.
Ich muss meine Waffe ziehen…
Noch ehe er es
überhaupt schafft seine Waffe zu berühren, steht sie bereits vor ihm, geh aus
vollem Lauf heraus in die Hocke und mit einer gewaltigen Druckwelle schleudert
sie sich nach vorne. Die Wucht ist heftig. Sie wirft Reth um und im Fallen
beobachtet vollkommen ungläubig, wie sich diese Frau über ihn hinweg
katapultiert … genau auf einen Drachen zu.
Er muss sich angeschlichen haben, kommt es
ihm kurz in den Sinn.
In dem Moment,
als beide aufeinanderprallen, beginnt das Gewitter. Gewaltige Blitze gehen von
der Frau aus und durchschlagen mehrmals die Bestie. Panisch versucht sie die
Frau abzuschütteln und schlägt wie wild nach ihr, aber die Frau hat sich
festgekrallt und mit jeder Sekunde die vergeht, jagt ein Blitz nach dem
nächsten durch die Kreatur. Wild mit den Flügeln schlagend versucht sie zu
entkommen. Vergebens. Gerade als sie davor sind außer Sicht zu geraten, stürzt
der Drache in die Tiefen, irgendwo in einen anderen Teil des Viertels.
Vollkommen
entsetzt über das was er gerade miterlebt hat, bleibt er einen Moment sitzen
und versucht wieder zu Atem zu kommen.
Sie haben kein Wasser. Eine Magierin. Sie
brauchen Wasser, egal woher. Scheiße, ich muss weiter!
Endlich, da vorne
ist der Platz. Nein, nein, nein.
Als er den Platz
und den riesigen Prachtbrunnen entdeckt, an dem noch vor wenigen Wochen sich
die Verliebten der Stadt zu einem romantischen Treffen sammelten, beginnt er
wie wahnsinnig an zu fluchen.
Fast der gesamte
Platz ist verschwunden, an seiner Stelle steht eine verzerrte Glasfigur und
überall an ihrer Seite liegen verbrannte Leichen.
Nein, hier war das Lazarett. Wo sind sie? Wo
ist Toris? War er hier als das passiert ist? Verdammt wo ist er?
Verzweiflung durchströmt ihn und gerade wo er sich seinen Tränen hingeben will
berührt ihn etwas kurz auf der linken Schulter.
„Wer?“
Und auf der
Rechten.
Was?
Auf der Stirn.
Er greift sich
an den Kopf: Wasser. Selbst der Himmel
weint über diesen Tag … Moment? Es regnet?
Tropfen für
Tropfen prasselt der Regen gehn Erde.
Das hätte ich nichtmehr erwartet. Die Magier
sagten doch es könnte nur ganz selten noch Regnen. Dabei waren bis vor kurzem
noch keine Wolken da o … heilige Scheiße.
Mit offenen Mund
blickt Reth zum Himmel hinauf. Dort oben ist noch immer nicht eine Wolke am
Himmel. Genauer gesagt ist dort nicht einmal mehr ein Himmel. Wo vor kurzem
noch ein sternenklarer Himmel sich weit über den Horizont hinaus erstreckt hat,
klafft nun ein gewaltiger Riss. Mit jeder Sekunde die er den Riss beobachtet,
wird er breiter und breiter. Gleichzeitig nimmt der Regen immer stärker zu.
Vollkommen verwirrt starrt er das Schauspiel an, bis er erkennt was sich hinter
dem Riss befindet:
Ein Meer. Das ist ein stadtgroßes Portal zu
einem verfickten Meer!
Doch selbst als
sich das Portal zu seiner vollen Größe geöffnet hat, stürzt nicht alles Wasser
gleichzeitig in die Tiefe. Stattdessen regnet es nur so stark wie seit
Jahrzenten nicht mehr.
In diesem Moment
erschüttern mehrere gewaltige Explosionen den Boden. Voller Erstaunen
beobachtet Reth wie sich eine gewaltige steinerne Hand aus der Nordstadt in
Richtung Himmel bewegt und dort einen locker zweihundert Fuß langen Drachen
packt und ihm die Kehle zertrümmert. Kurz darauf erklingt ein unsagbar lautes
Donnern, als würde ein Blitz direkt neben einen einschlagen. Aber statt ihm
treffen die Blitze gleichzeitig mehrere andere Drachen und ehe sie es überhaupt
begreifen fallen sie tot vom Himmel.
Die Magier. Überall in der Stadt
erwachen sie zu ihrer vollen Macht. Flammensäulen steigen vom Boden auf und
verbrennen selbst Drachen, mehrere Drachen werden mitten im Flug in Eis
gehüllt, stürzen ab und werden beim Aufprall zertrümmert. Schatten umschlingen
die Kreaturen und lassen ihre Geschosse ins Leere gehen.
Unglaublich. Das nur durch den Regen?
Reth blickt
wieder nach oben und verfolgt wie langsam, Fuß für Fuß, eine Gestalt aus dem
Riss schwebt.
Ist das ein Gott? Haben sie endlich unsere
Gebete erhört? Von hier unten kann man ihn nur schwer erkennen. Er sieht aus
als würde er einen langen Mantel tragen, der voller leuchtender Runen ist oder
so.
Das Wesen sieht
sich kurz um und als es den größten Drachen entdeckt zuckt es kurz mit seiner
Hand und eine gewaltige Sense erscheint.
Wo ist er hin? Er war doch eben noch da. Wie
kann es so schnell?
In diesem Moment
entdeckt er ihn wieder. Das Wesen ist gerade hinter einem der zweihundert Fuß
langen Echsen aufgetaucht, die die Angriffe offensichtlich anführen. Noch ehe
sich die Kreatur umdrehen kann zerfällt sie bereits in zwei Teile.
Mit einem Schlag? Mit einem Schlag hat es
einen dieser Giganten gespalten.
Die Drachen in
der Nähe brüllen entsetzt auf, aber ehe sie das Wesen in Flammen eindecken
können, hat es bereits mit seiner Waffe mehrmals die Luft durchschnitten und
mit ihr, die kleineren Drachen. Nur zwei der größeren haben den Angriff gerade
so überstanden und speien ihm Feuer entgegen. Viel zu langsam. Das Wesen ist
wieder verschwunden und auf dem Kopf des linken Drachens aufgetaucht. Während
der noch versucht zu begreifen, was da auf seinen Schädel sitzt, hat es ihm die
Sense um die Kehle gelegt und sie angezogen. Gleichzeitig richtet es seine
andere Hand in die Richtung des rechten Drachens und sofort explodiert dieser.
Nein, er explodiert nicht. Viel eher sieht es aus als würden ihn hunderte Arme
gleichzeitig packen und in alle Richtungen auseinander ziehen. Innerhalb eines
Wimpernschlages wird er in tausend Stücke auseinander gerissen. Während die
Eingeweide noch nicht einmal auf den Boden angekommen sind stürmt das Wesen
weiter.
Es muss ein Gott sein. Nervös wischt
sich Reth den Regen aus dem Gesicht. Vielleicht
haben wir doch noch eine Chance.
Es zerstückelt
und zerreißt jeden Drachen an den es nah genug rankommt. Diejenigen die weiter
weg sind scheinen durchzudrehen. Manche greifen das Wesen Hals über Kopf an und
die anderen fallen sogar ihre eigenen Brüder und Schwestern an.
Gerade als es
dabei ist drei Drachen gleichzeitig in Stücke zu schlagen, wird hinter ihm ein
Portal regelrecht aus der Luft selbst gesprengt und ein riesiger Drachenschädel
rast mit enormer Geschwindigkeit aus dem noch in Flammen gehüllten Portal
heraus. Ehe das Wesen sich umdrehen kann, hat der neu aufgetauchte Riese sein
Maul geöffnet und ihm einen reinen Strahl aus Lava entgegen geschleudert. Diese
Lavalanze ist so rein und stark, sie erstreckt sich fast von einem Ende bis hin
zum anderen Ende der Stadt und mittendrinne … hat sie das Wesen durchschlagen.
Er stürzt ab. Es kann kein Gott sein.
Selbstzufrieden sieht der riesige Drachen seinem Opfer
nach. Erst jetzt, wo er das Portal vollständig verlassen hat, werden seine
wahren Ausmaße klar. Er ist locker vierhundert Fuß lang.
Er muss der Kommandant dieses Angriffs sein.
Irgendwo hat er sich versteckt und den Kampf beobachtet. Während ihm diese
Gedanken durch den Kopf gehen beobachtet er den Fall des Wesens. Es trudelt hin
und her. Schnell sprintet Reth los.
Zwei Gassen weiter findet er das Wesen. Es scheint mit
voller Wucht gegen die Nordseite eines Hauses geknallt zu sein und hat dabei die
Hälfte der Holzwand eingerissen. Jetzt liegt es halb unter den Trümmern
begraben. Aber es muss noch leben, seine Schmerzensschreie erfüllen die Nacht.
Vielleicht kann ich ihm helfen. Irgendwie
zusammen flicken damit es diesen Drachen umbringen kann … keine Chance.
Abrupt bleibt er
stehen als er die Verletzungen des Mannes und das ist er, ein Mann, vor ihm
sieht. Seine gesamte rechte Seite ist weg. Sein rechter Arm, sein rechtes Bein,
ein Großteil seines Torsos, alles weg. Das was noch da ist, ist vollkommen
verbrannt und qualmt immer noch. Der Geruch ist unerträglich, wie beim
alljährlichen Grillfest. Der Boden ist durch den Regen blutrot.
Wie kann er da noch schreien? Doch das
macht er bereits nicht mehr. Er ist endlich still, tot. Seine Augen blicken ins
Leere. Reth rauft sich die Haare.
Verdammt. Ob wir ohne ihn eine Chance haben? Die Magier alleine gegen diesen
Riesen? Ich muss Toris finden.
Gerade als er sich umdrehen will fängt
der Mann wieder an zu brüllen.
Heilige Scheiße. Schnell weicht Reth
zurück.
Der verbrannte
Mann vor ihm zuckt hin und her. Unter offensichtlich höllischen Qualen reißen
hunderte kleine Schatten, Hautfetzen für Hautfetzen von dem bis eben noch toten
Manne. Unter den Fetzen taucht frische noch blutende Haut auf und auch an
seinen zerfetzten Stümpfen von Arm und Bein, schließen sich Schatten zusammen
und bilden neue Gliedmaßen. Unter massiven Schmerzen richtet sich der Mann auf,
während sein Körper nach und nach neu zusammengesetzt wird. Sein Blick der eben
noch vollkommen leer war, richtet sich auf, gehn Himmel. Er fixiert den
riesigen Drachen an und ein gewaltiges Brüllen erschüttert die Gassen. Eine
heftige Druckwelle schleudert Reth zu Boden, als der Mann sich selbst in die
Luft katapultiert.
Trotz der Verwirrung
reagiert der Riese sofort und schleudert dem Mann erneut eine Lavalanze
entgegen, die er dieses Mal quer durch die Stadt zieht und damit eine gewaltige
Schneise durch Mauern und Häuser erschafft.
Doch der Mann
ist bereits rechts von ihm, nein links, nein über ihm, unter ihm? Der Drache
sieht hin und her. Um ihn herum sind über fünfzig Ausgaben des Mannes.
Illusionen?
Wie auf einen
unsichtbaren Befehl hin, stürmen alle gleichzeitig auf den Drachen zu und mit
jedem Hieb, den sie ausführen wird eine weitere Schneise in den Körper des
Riesens geschlagen.
Keine Illusionen. Das sind Doppelgänger!
Der Drache
versucht noch panisch Feuer auf die Doppelgänger des Mannes zu werfen, aber
vergeben. Auf einen letzten Befehl hin holen sie alle gleichzeitig aus und
zerstückeln den Drachen. Noch in seinem Fall ist er bereits tot. Der Aufprall
seines Kadavers zermalmt einen Großteil der Nordstadt unter sich.
Das Schlachtfeld
schweigt, man hört nur noch wie der Regen zu Boden prasselt.
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