Donnerstag, 7. März 2013

DK 15 Ein Gott?


Völlig außer Atem bleibt Reth an der Wegbiegung stehen und linst um die Ecke.
   Nichts. Weiter.  Schnell sprintet er durch die Gasse.

   Vor knapp einem Glockenschlag hat die Bombardierung begonnen. Doch die Angriffe aus der Ferne waren ihnen dieses Mal wohl nicht genug. Sie sind runter in die Straßen geflogen und haben ihre Flammen durch jede Ritze, in jedes Haus gejagt. Die Infanterie wurde losgeschickt um sie zu bekämpfen und im Gegensatz zu den bisherigen Tagen und Wochen haben wir erstmals einige Erfolge gefeiert. Jeder vierte Drache, der sich zu nah nach unten traute wurde mit magisch verstärkten Bolzen vom Himmel geholt und niedergemacht. Doch für jeden von ihnen, sterben hundert von uns. Die Straßen sind mit Leichen gepflastert.  Auch meine Kompanie hat sich mit einer dieser Bestien angelegt. Doch kurz bevor wir sie hatten, haben zwei weitere ihren Angriff begonnen. Ihre Flammen sind mitten durch unseren Trupp gegangen. Scheiße.
   Er wird langsamer als er endlich realisiert was eben passiert ist. Ich hab nur gesehen wie sich dieses Maul geöffnet hat … Ein einziger Glutofen. Selbst auf dieser Entfernung war die Hitze unerträglich. Dann hab ich mich auf den Boden geschmissen und erst aufgeblickt als das Dröhnen vorbei war. Der gesamte Platz hat gebrannt. Um mich herum waren nur Schreie, doch mich hatte nur eines interessiert: Wo war Toris? Erst als ich ihn auf der anderen Seite der Flammen sah war ich beruhigt. Er war gerade dabei einen anderen zu versorgen. Keine Ahnung wer es war, aber so wie er aussah war die Mühe sowieso vergebens, aber das hat Toris noch nie gekümmert.
   Erst in dem Moment hab ich Luken neben mir wahrgenommen. Die Hälfte seines Körpers war verbrannt, aber er war immer noch bei Bewusstsein. Also hab ich ihn vorsichtig hochgehievt und ihn mit mir geschleift. Sollte unser Trupp getrennt werden lautet der Befehl sich am großen Brunnen in der Oststadt zu treffen. Dort sind noch Magier und ganz wichtig: Heiler.
   Reumütig blickt er zurück. Dafür kommt es leider für dich zu spät, Luken. Falls ich das hier überlebe, sag ich deiner Frau wie tapfer du heute gekämpft hast. Auch wenn du nicht einmal in diesem Krieg mit deiner Waffe zugeschlagen hast … Reiß dich zusammen Reth. Du musst zum Brunnen, dort wartet Toris auf dich, er muss.

Reth stürmt durch die Gassen, wobei er bei jeder Biegung erst einmal vorsichtig um die Ecke schielt und immer wieder nervös in den Himmel blickt. Regelmäßig sieht er einen Schatten vorbeifliegen und jedes Mal duckt er sich in einen Hauseingang rein. In der Ferne erklingt das Brüllen von mehreren Drachen und Kampflärm.
   Aber gottseidank alles weit genug entfernt.
   Er hastet weiter, bis er in einer dunklen Gasse auf einmal eine Bewegung sieht und erstarrt. Seine Augen weiten sich vor Entsetzen als er ungläubig beobachtet was gerade vor ihm passiert: Eine Frau, in einer weiten Robe gehüllt, schlitzt einer der halb verbrannten Leichen die Kehle durch, hebt sie hoch und … trinkt den herausquillenden Blutstrom.
   Was? Was ist das?
   Als sie ihn bemerkt starrt sie ihn mit blutunterlaufenden Augen an. „Was? Was starrst du so?“
   Sie lässt die Leiche unachtsam fallen und versucht sich mühselig aufzurichten. Ihr Mund, Kinn und Teile der Robe sind blutdurchtränkt. „Starr mich nicht so an!“, brüllt sie ihn an.
   Kurz nachdem sie sich aufgerichtet hat gerät sie kurz ins Wanken, hält sich den Mund zu und es wirkt kurz so, als würde sie das eben getrunkene Blut direkt wieder auskotzen, aber sie fängt sich.
   „Glaubst du ich hab eine Wahl?“, brüllt sie ihn an.
   Ihre Haare beginnen sich leicht aufzurichten während leichte Funken über ihre Haut zucken. Noch immer steif vor Schock geht Reth vorsichtig zurück. Ihr Gesicht verzerrt sich vor Wut und aus den Funken werden kleine Blitze die zwischen ihren Gliedern hin und her zucken, in diesem Moment lässt sie sich leicht nach vorne fallen und stürmt auf ihn zu.
   „Krepier!“, kreischt sie.
   Ich muss meine Waffe ziehen…
   Noch ehe er es überhaupt schafft seine Waffe zu berühren, steht sie bereits vor ihm, geh aus vollem Lauf heraus in die Hocke und mit einer gewaltigen Druckwelle schleudert sie sich nach vorne. Die Wucht ist heftig. Sie wirft Reth um und im Fallen beobachtet vollkommen ungläubig, wie sich diese Frau über ihn hinweg katapultiert … genau auf einen Drachen zu.
   Er muss sich angeschlichen haben, kommt es ihm kurz in den Sinn.
   In dem Moment, als beide aufeinanderprallen, beginnt das Gewitter. Gewaltige Blitze gehen von der Frau aus und durchschlagen mehrmals die Bestie. Panisch versucht sie die Frau abzuschütteln und schlägt wie wild nach ihr, aber die Frau hat sich festgekrallt und mit jeder Sekunde die vergeht, jagt ein Blitz nach dem nächsten durch die Kreatur. Wild mit den Flügeln schlagend versucht sie zu entkommen. Vergebens. Gerade als sie davor sind außer Sicht zu geraten, stürzt der Drache in die Tiefen, irgendwo in einen anderen Teil des Viertels.
   Vollkommen entsetzt über das was er gerade miterlebt hat, bleibt er einen Moment sitzen und versucht wieder zu Atem zu kommen.
   Sie haben kein Wasser. Eine Magierin. Sie brauchen Wasser, egal woher. Scheiße, ich muss weiter!

Endlich, da vorne ist der Platz. Nein, nein, nein.
   Als er den Platz und den riesigen Prachtbrunnen entdeckt, an dem noch vor wenigen Wochen sich die Verliebten der Stadt zu einem romantischen Treffen sammelten, beginnt er wie wahnsinnig an zu fluchen.
   Fast der gesamte Platz ist verschwunden, an seiner Stelle steht eine verzerrte Glasfigur und überall an ihrer Seite liegen verbrannte Leichen.
   Nein, hier war das Lazarett. Wo sind sie? Wo ist Toris? War er hier als das passiert ist? Verdammt wo ist er? Verzweiflung durchströmt ihn und gerade wo er sich seinen Tränen hingeben will berührt ihn etwas kurz auf der linken Schulter.
   „Wer?“
   Und auf der Rechten.
   Was?
   Auf der Stirn.
   Er greift sich an den Kopf: Wasser. Selbst der Himmel weint über diesen Tag … Moment? Es regnet?
   Tropfen für Tropfen prasselt der Regen gehn Erde.
   Das hätte ich nichtmehr erwartet. Die Magier sagten doch es könnte nur ganz selten noch Regnen. Dabei waren bis vor kurzem noch keine Wolken da o … heilige Scheiße.
   Mit offenen Mund blickt Reth zum Himmel hinauf. Dort oben ist noch immer nicht eine Wolke am Himmel. Genauer gesagt ist dort nicht einmal mehr ein Himmel. Wo vor kurzem noch ein sternenklarer Himmel sich weit über den Horizont hinaus erstreckt hat, klafft nun ein gewaltiger Riss. Mit jeder Sekunde die er den Riss beobachtet, wird er breiter und breiter. Gleichzeitig nimmt der Regen immer stärker zu. Vollkommen verwirrt starrt er das Schauspiel an, bis er erkennt was sich hinter dem Riss befindet:
   Ein Meer. Das ist ein stadtgroßes Portal zu einem verfickten Meer!
   Doch selbst als sich das Portal zu seiner vollen Größe geöffnet hat, stürzt nicht alles Wasser gleichzeitig in die Tiefe. Stattdessen regnet es nur so stark wie seit Jahrzenten nicht mehr.
   In diesem Moment erschüttern mehrere gewaltige Explosionen den Boden. Voller Erstaunen beobachtet Reth wie sich eine gewaltige steinerne Hand aus der Nordstadt in Richtung Himmel bewegt und dort einen locker zweihundert Fuß langen Drachen packt und ihm die Kehle zertrümmert. Kurz darauf erklingt ein unsagbar lautes Donnern, als würde ein Blitz direkt neben einen einschlagen. Aber statt ihm treffen die Blitze gleichzeitig mehrere andere Drachen und ehe sie es überhaupt begreifen fallen sie tot vom Himmel.
   Die Magier. Überall in der Stadt erwachen sie zu ihrer vollen Macht. Flammensäulen steigen vom Boden auf und verbrennen selbst Drachen, mehrere Drachen werden mitten im Flug in Eis gehüllt, stürzen ab und werden beim Aufprall zertrümmert. Schatten umschlingen die Kreaturen und lassen ihre Geschosse ins Leere gehen.
   Unglaublich. Das nur durch den Regen?
   Reth blickt wieder nach oben und verfolgt wie langsam, Fuß für Fuß, eine Gestalt aus dem Riss schwebt.
   Ist das ein Gott? Haben sie endlich unsere Gebete erhört? Von hier unten kann man ihn nur schwer erkennen. Er sieht aus als würde er einen langen Mantel tragen, der voller leuchtender Runen ist oder so.
   Das Wesen sieht sich kurz um und als es den größten Drachen entdeckt zuckt es kurz mit seiner Hand und eine gewaltige Sense erscheint.
   Wo ist er hin? Er war doch eben noch da. Wie kann es so schnell?
   In diesem Moment entdeckt er ihn wieder. Das Wesen ist gerade hinter einem der zweihundert Fuß langen Echsen aufgetaucht, die die Angriffe offensichtlich anführen. Noch ehe sich die Kreatur umdrehen kann zerfällt sie bereits in zwei Teile.
   Mit einem Schlag? Mit einem Schlag hat es einen dieser Giganten gespalten.
   Die Drachen in der Nähe brüllen entsetzt auf, aber ehe sie das Wesen in Flammen eindecken können, hat es bereits mit seiner Waffe mehrmals die Luft durchschnitten und mit ihr, die kleineren Drachen. Nur zwei der größeren haben den Angriff gerade so überstanden und speien ihm Feuer entgegen. Viel zu langsam. Das Wesen ist wieder verschwunden und auf dem Kopf des linken Drachens aufgetaucht. Während der noch versucht zu begreifen, was da auf seinen Schädel sitzt, hat es ihm die Sense um die Kehle gelegt und sie angezogen. Gleichzeitig richtet es seine andere Hand in die Richtung des rechten Drachens und sofort explodiert dieser. Nein, er explodiert nicht. Viel eher sieht es aus als würden ihn hunderte Arme gleichzeitig packen und in alle Richtungen auseinander ziehen. Innerhalb eines Wimpernschlages wird er in tausend Stücke auseinander gerissen. Während die Eingeweide noch nicht einmal auf den Boden angekommen sind stürmt das Wesen weiter.
   Es muss ein Gott sein. Nervös wischt sich Reth den Regen aus dem Gesicht. Vielleicht haben wir doch noch eine Chance.
   Es zerstückelt und zerreißt jeden Drachen an den es nah genug rankommt. Diejenigen die weiter weg sind scheinen durchzudrehen. Manche greifen das Wesen Hals über Kopf an und die anderen fallen sogar ihre eigenen Brüder und Schwestern an.
   Gerade als es dabei ist drei Drachen gleichzeitig in Stücke zu schlagen, wird hinter ihm ein Portal regelrecht aus der Luft selbst gesprengt und ein riesiger Drachenschädel rast mit enormer Geschwindigkeit aus dem noch in Flammen gehüllten Portal heraus. Ehe das Wesen sich umdrehen kann, hat der neu aufgetauchte Riese sein Maul geöffnet und ihm einen reinen Strahl aus Lava entgegen geschleudert. Diese Lavalanze ist so rein und stark, sie erstreckt sich fast von einem Ende bis hin zum anderen Ende der Stadt und mittendrinne … hat sie das Wesen durchschlagen.
   Er stürzt ab. Es kann kein Gott sein.
Selbstzufrieden sieht der riesige Drachen seinem Opfer nach. Erst jetzt, wo er das Portal vollständig verlassen hat, werden seine wahren Ausmaße klar. Er ist locker vierhundert Fuß lang.
   Er muss der Kommandant dieses Angriffs sein. Irgendwo hat er sich versteckt und den Kampf beobachtet. Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gehen beobachtet er den Fall des Wesens. Es trudelt hin und her. Schnell sprintet Reth los.

Zwei Gassen weiter findet er das Wesen. Es scheint mit voller Wucht gegen die Nordseite eines Hauses geknallt zu sein und hat dabei die Hälfte der Holzwand eingerissen. Jetzt liegt es halb unter den Trümmern begraben. Aber es muss noch leben, seine Schmerzensschreie erfüllen die Nacht.
   Vielleicht kann ich ihm helfen. Irgendwie zusammen flicken damit es diesen Drachen umbringen kann … keine Chance.
   Abrupt bleibt er stehen als er die Verletzungen des Mannes und das ist er, ein Mann, vor ihm sieht. Seine gesamte rechte Seite ist weg. Sein rechter Arm, sein rechtes Bein, ein Großteil seines Torsos, alles weg. Das was noch da ist, ist vollkommen verbrannt und qualmt immer noch. Der Geruch ist unerträglich, wie beim alljährlichen Grillfest. Der Boden ist durch den Regen blutrot.
   Wie kann er da noch schreien? Doch das macht er bereits nicht mehr. Er ist endlich still, tot. Seine Augen blicken ins Leere. Reth rauft sich die Haare.
   Verdammt. Ob wir ohne ihn eine Chance haben? Die Magier alleine gegen diesen Riesen? Ich muss Toris finden.
   Gerade als er sich umdrehen will fängt der Mann wieder an zu brüllen.
   Heilige Scheiße. Schnell weicht Reth zurück.
   Der verbrannte Mann vor ihm zuckt hin und her. Unter offensichtlich höllischen Qualen reißen hunderte kleine Schatten, Hautfetzen für Hautfetzen von dem bis eben noch toten Manne. Unter den Fetzen taucht frische noch blutende Haut auf und auch an seinen zerfetzten Stümpfen von Arm und Bein, schließen sich Schatten zusammen und bilden neue Gliedmaßen. Unter massiven Schmerzen richtet sich der Mann auf, während sein Körper nach und nach neu zusammengesetzt wird. Sein Blick der eben noch vollkommen leer war, richtet sich auf, gehn Himmel. Er fixiert den riesigen Drachen an und ein gewaltiges Brüllen erschüttert die Gassen. Eine heftige Druckwelle schleudert Reth zu Boden, als der Mann sich selbst in die Luft katapultiert.
   Trotz der Verwirrung reagiert der Riese sofort und schleudert dem Mann erneut eine Lavalanze entgegen, die er dieses Mal quer durch die Stadt zieht und damit eine gewaltige Schneise durch Mauern und Häuser erschafft.
   Doch der Mann ist bereits rechts von ihm, nein links, nein über ihm, unter ihm? Der Drache sieht hin und her. Um ihn herum sind über fünfzig Ausgaben des Mannes.
   Illusionen?
   Wie auf einen unsichtbaren Befehl hin, stürmen alle gleichzeitig auf den Drachen zu und mit jedem Hieb, den sie ausführen wird eine weitere Schneise in den Körper des Riesens geschlagen.
   Keine Illusionen. Das sind Doppelgänger!
   Der Drache versucht noch panisch Feuer auf die Doppelgänger des Mannes zu werfen, aber vergeben. Auf einen letzten Befehl hin holen sie alle gleichzeitig aus und zerstückeln den Drachen. Noch in seinem Fall ist er bereits tot. Der Aufprall seines Kadavers zermalmt einen Großteil der Nordstadt unter sich.
   Das Schlachtfeld schweigt, man hört nur noch wie der Regen zu Boden prasselt.

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