Er ist nicht auf
dieser Seite … Ich hab die gesamte Zeit das Portal beobachtet. Viele bekannte
Gesichter, auch wenn ich mir mehr gewünscht hätte. Doch es war kein Toris
dabei. Dann muss er noch in Steinhafen sein. Verflucht, ich will zurück …
Trübselig stapft
er dahin.
„Hauptmann?
Hauptmann Reth?“
Genau, ich bin jetzt Hauptmann.
„Mh?“, genervt
blickt er seinen Leutnant an. „Was ist?“
„Seid ihr in
Ordnung? Ihr wirkt müde. Wann habt ihr das letzte Mal geschlafen?“
Geschlafen? Gute Frage. „Das geht euch
nichts an, sorgt lieber dafür das die Männer einsatzbereit sind.“
„Äh ja.
Natürlich Sir. Sofort Sir!“
Verdammte Sonne.
Heftig blinzelt Reth. Seine Augen benötigen einen Moment, bis sie sich an die
pralle Sonne gewöhnt haben, deren Licht von der umliegenden Schneelandschaft
reflektiert wird.
Endlich raus aus der Schlucht … wow.
Voller Staunen betrachtet er die weite Ebene, die beinahe die gesamte Sicht
einnimmt. Sie ist fast komplett mit unberührten Schnee bedeckt. Nur an wenigen
Stellen haben es einzelne Felsen geschafft durch die Schneedecke zu brechen.
Doch was das erstaunte Gemurmel seiner Männer auslöst, ist das gewaltige
Gebirge hinter dieser Ebene.
Das ist also der Drachenhort. Das
Gebirge ist mit hunderten von kleinen bis gigantischen Tunneln durchzogen und
aus jedem zweiten startet oder landet gerade ein Drache. Der gesamte Himmel ist
voll von ihnen.
Scheinbar wissen sie von ihrer Niederlage.
Sie bereiten ihren Abflug vor. Knapp dreihundert Fuß über der Erde entdeckt
er ihr Ziel: Der Rand des Plateaus.
Dort oben befindet sich der Haupteingang.
Von dort können wir uns aufteilen und die Tunnel stürmen. Die Drachen werden
gezwungen sich uns in den Tunneln zu stellen.
Mulmig
betrachtet er den leichten Schimmer der über ihnen wabert.
Hoffentlich hält die Illusion bis wir die
Portalstrecke aufgebaut haben.
Schweigend
stapfen die Soldaten durch den Schnee. Knapp einundzwanzigtausend Männer und
Frauen. Alle dicht an dicht gedrängelt um die Illusion aufrecht zu erhalten.
Wenn wir jetzt aufliegen war es das. Sie
könnten uns innerhalb eines Wimpernschlages zu Asche verwandeln. Aber nur so
können die Magier schneller eine Strecke aufbauen. Würden wir einen Stoßtrupp
vorschicken der ein Portal auf eine größere Entfernung hin aufbauen müsste,
dann wären die ihnen schutzlos ausgeliefert. So können wir zumindest noch etwas
Deckung geben. Hoffentlich funktioniert das.
Er blickt zurück
und beobachtet wie die Fußabdrücke der letzten Soldaten nach und nach vom Wind
aufgewirbelt werden und verschwinden. Daran
haben sie also auch gedacht.
Angekommen. Die Spitze der Truppen hat sich am Fuß des
Hortes gesammelt. Knapp dreihundert Fuß entfernt, beobachtet Reth wie
Hochmagier Aros und eine weitere Magierin sich nach oben katapultieren und den
Fels erklimmen.
Diese Frau … irgendwoher kenne ich sie.
Verdammt, das ist diese Wahnsinnige mit den Blitzen. Dann muss sie auch eine
Hohemagierin sein. Ein Schauder läuft ihm über den Rücken.
Zur Ablenkung
beobachtet er den Himmel. Niemand hat uns
bisher bemerkt, sie rechnen wirklich nicht mit einem Angriff.
Die beiden
Hohemagier haben ihr Ziel erreicht und huschen langsam über den Rand außer
Sicht.
„Jetzt geht’s
los. Macht euch bereit Männer“, flüstert er leise zu seinem Trupp.
Vorsichtig
richten die ihre Rüstungen und Waffen und zu Reth eigenen Erstaunen, erklingt
fast kein Geräusch dabei. Weiter vorne öffnet sich langsam das Portal.
Es ist immer noch ruhig.
Noch ehe sich das Portal vollständig
aufgebaut hat, springen die ersten Soldaten hindurch.
Bald sind wir dran. Sie haben uns immer noch
nicht …
In diesem Moment
erklingt ein gewaltiges Dröhnen und eine riesige Feuerlanze schlägt von der
anderen Seite durch das Portal hindurch.
Nein!
Sämtliche
Soldaten vor dem Portal werden mit einem Schlag zu Asche verbrannt. Die heftige
Hitzewoge zwingt Reth dazu in die Hocke zu gehen.
Überall um ihn
herum brüllen Soldaten „Verteilt euch!“ „Zur Seite!“
Während er noch versucht auf die Beine zu
kommen. wird er direkt wieder von einer weiteren Druckwelle umgeschmissen.
Schnell dreht er sich um und kann gerade noch mit ansehen wie eine heftige
Explosion von dem Portal ausgeht und es in Stücke reißt. Mit ihm die
umstehenden Magier und Soldaten. Schnell kommt er wieder auf die Beine und im
Laufen sieht er wie eine wahre Flut von Drachen aus dem Haupttunnel kommt und
über das Plateau hinausschießt. Heftige Blitze verfolgen sie und durchschlagen
hunderte von ihnen.
Also leben da oben noch einige.
Der Himmel füllt
sich mit immer mehr und mehr Drachen. Eine Bombardierung kommt offensichtlich
nicht in Frage, denn ein Drache nach dem Anderen stürzt in die Tiefe und
schleudert Feuerwogen in die Truppen unter ihm.
„Zu den
Barrieren!“, brüllt er ohne ein bestimmtes Ziel im Blick zu haben. Hecktisch
sieht er sich um und entdeckt sie. Von mehreren Soldaten gehaltene Schilde, von
denen einen Blau-Schwarze Barriere ausgeht. Unter ihnen versammeln sich
Soldaten, um die darüber fliegenden Drachen ins Visier zu nehmen. Schnell rennt
er zur nächsten Barriere. Aber ehe er sie erreichen kann, stürzt ein Drache
hinab auf das Schild und zermalmt die Träger unter sich.
Verfluchte … dann halt ohne Barriere.
Doch gerade als
Reth seine Armbrust anlegen will, reißt ihn eine weitere Explosion zu Boden.
Hustend und fluchend wühlt er sich aus dem Schnee und Matschhügel heraus, in
dem ihn die Druckwelle geschleudert hat.
Scheiße, das war kein Geschoss.
Vor ihm windet
sich ein von mehreren Bolzen durschlagender Drache am Boden und brüllt vor
Schmerzen. Schnell zieht er sein Schwert und hastet auf die Kreatur zu.
Ein Kleiner, den schaff ich!
Der Drache ist
knapp doppelt so lang wie ein Mensch und hält sich mit seiner rechten Klaue,
seinen vollkommen zertrümmerten linken Arm. Als er Reth bemerkt weiten sich
seine Augen, vollkommen panisch versucht er auf die Hinterläufe zu kommen, aber
schafft es nicht. Der Bolzen in seiner Hüfte sorgt für zu viele Schmerzen.
Seine Flügel sind ebenfalls zu nichts mehr zu gebrauchen. Sie schlagen nur
sinnlos in der Luft herum, während sie sein heißes Blut im Schnee verteilen. Er
krallt seinen einzig noch gesunden Arm in den Schnee unter sich und versucht
sich wegzuziehen.
Reth hält in
seinem Ansturm kurz inne. Er flieht? Vor
mir? Aber er fängt sich schnell wieder und holt den Drachen nach wenigen
Sekunden ein.
Kurz bevor er
ihn erreichen kann, schmeißt sich die Kreatur auf den Rücken und hält ihren
rechten Arm schützend vor sich. Eine panische Stimme erklingt in seinem Kopf:
„Nein! Bitte, bitte mach das nicht. Ich fleh dich an, bitte. Ich wollte nicht.
Ich wollte nie kämpfen. Sie haben mich dazu gezwungen. Bitte, ich will zu
meiner Mama! Sie sucht bestimmt schon nach mir. Ich kämpfe nicht mehr, bitte!“
Vollkommen
geschockt bleibt Reth stehen. Seine Augen sind bis zum Maximum geweitet. Nur
ein Bruchteil von einer Sekunde vergeht, als sich ein wahnsinniges Lächeln in
seinem Gesicht bildet und er zuschlägt … und zuschlägt. Wieder und wieder. Bis
die panischen Schreie endlich verstummt sind.
Schweißgebadet
sieht sich Reth um. Überall um ihn herum kämpfen Menschen gegen Drachen. Viele
der Drachen wurden auf den Boden gezwungen und zerreißen in ihrem Todeskampf
Mensch für Mensch, ehe sie überwältigt werden können. Die Luft ist kochend
heiß, überall schlagen Feuersäulen in den Boden ein und verbrennen dutzende von
Soldaten. Kampfschreie und Schreie der Qual erklingen von allen Seiten.
Mehrmals stößt ein Froststurm von unten hinauf in die Luft und lässt einen
Drachen nach dem anderen gefrieren und zerschmettern, bis sich mehrere
Feuersäulen sammeln und den Ursprungsort des Sturms vollkommen auslöschen. Es
kommen auch keine Blitze mehr vom Plateau.
Hektisch sieht
Reth sich nach einer Armbrust rum, die Hand noch immer fest um das
blutverschmierte Schwert versteift.
Nur Leichen, überall nur Leichen. Warum
liegen hier nur überall so viele Leichen rum?
„Runter!“,
erklingt es hinter ihm.
Ohne drüber
nachzudenken schmeißt er sich auf den Boden. Panische Schreie erklingen und als
er sich in ihre Richtung wendet, sieht er Entsetzliches. Er muss mit ansehen
wie sich eine Gruppe Soldaten hin und her schmeißt, während sich das Feuer
durch ihre Körper frisst.
Die Warnung war nicht für mich. Trotzdem kam
sie zu spät … Ich will nach Hause, ich will zu Toris.
Er sieht sich
wieder um. Dabei entdeckt er eine halb verschmorte Armbrust, auf dem Körper
eines Soldaten liegen. Schnell hastet er darauf zu. Der stinkende Qualm schlägt
ihn ins Gesicht. Schwer hustend erreicht er die Leiche. Er zieht an der Waffe,
aber sie steckt fest.
„Verdammt lass
los!“, wütend tritt er nach dem Toten. Mit einem heftigen Ruck schafft er es
endlich die Armbrust zu befreien. Dabei wippt der Kopf des Soldaten zur Seite
und blickt Reth an.
Toris? Toris bist du das? Er reibt sich
die verrußten Augen. Das kann nicht sein.
Du kannst nicht Toris sein. Toris hat braunes Haar. Nein, er hat blondes Haar.
Du aber hast? Welche Haarfarbe hast du?
Mühselig zieht
er am Helm des Soldaten. Es dauert Ewigkeiten bis er ihn endlich ab hat.
Das bist du doch nicht? Nein, du bist in
Steinhafen oder bist du hier? Habe ich dich durch das Portal gehen gesehen?
Er lässt die
Armbrust fallen.
Verdammt nochmal.
Als er versucht
die Waffe wieder aufzuheben, schafft er es nicht. Sie fällt ihm wieder und
wieder aus den Händen. Sie sind voller Schweiß, Matsch und Blut. Schluchzend
geht er in die Knie.
Ich will nicht mehr.
In diesem Moment
ertönt ein gewaltiges Brüllen. Es erschüttert die gesamte Erde. Hoch oben am
Rand des Gebirges taucht eine Bestie auf, die selbst den Riesen, der über
Steinhafen gekämpft hat, wie einen kleinen Welpen wirken lässt. Als er seine
gewaltigen Flügel spreizt verfinstert sich die Welt. Entsetzen breitet sich auf
der Ebene aus, als sich die Kreatur in die Tiefe stürzt.
Das war es endgültig. Wir sind verloren.
Resigniert blickt Reth zu Boden.
Wie sollen wir dagegen kämpfen? Unmöglich.
Ich will nicht mehr.
Mit zitternden Händen greift er nach
seinem Schwert.
Toris, verzeih mir. Ich komm zu dir.
Und mit diesen
letzten Gedanken rammt er sich die Klinge in die Kehle.
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