Montag, 4. März 2013

DK 18 Niedergang


Er ist nicht auf dieser Seite … Ich hab die gesamte Zeit das Portal beobachtet. Viele bekannte Gesichter, auch wenn ich mir mehr gewünscht hätte. Doch es war kein Toris dabei. Dann muss er noch in Steinhafen sein. Verflucht, ich will zurück …
   Trübselig stapft er dahin.
   „Hauptmann? Hauptmann Reth?“
   Genau, ich bin jetzt Hauptmann.
   „Mh?“, genervt blickt er seinen Leutnant an. „Was ist?“
   „Seid ihr in Ordnung? Ihr wirkt müde. Wann habt ihr das letzte Mal geschlafen?“
   Geschlafen? Gute Frage. „Das geht euch nichts an, sorgt lieber dafür das die Männer einsatzbereit sind.“
   „Äh ja. Natürlich Sir. Sofort Sir!“


Verdammte Sonne. Heftig blinzelt Reth. Seine Augen benötigen einen Moment, bis sie sich an die pralle Sonne gewöhnt haben, deren Licht von der umliegenden Schneelandschaft reflektiert wird.
   Endlich raus aus der Schlucht … wow. Voller Staunen betrachtet er die weite Ebene, die beinahe die gesamte Sicht einnimmt. Sie ist fast komplett mit unberührten Schnee bedeckt. Nur an wenigen Stellen haben es einzelne Felsen geschafft durch die Schneedecke zu brechen. Doch was das erstaunte Gemurmel seiner Männer auslöst, ist das gewaltige Gebirge hinter dieser Ebene.
   Das ist also der Drachenhort. Das Gebirge ist mit hunderten von kleinen bis gigantischen Tunneln durchzogen und aus jedem zweiten startet oder landet gerade ein Drache. Der gesamte Himmel ist voll von ihnen.
   Scheinbar wissen sie von ihrer Niederlage. Sie bereiten ihren Abflug vor. Knapp dreihundert Fuß über der Erde entdeckt er ihr Ziel: Der Rand des Plateaus.
   Dort oben befindet sich der Haupteingang. Von dort können wir uns aufteilen und die Tunnel stürmen. Die Drachen werden gezwungen sich uns in den Tunneln zu stellen.
   Mulmig betrachtet er den leichten Schimmer der über ihnen wabert.
   Hoffentlich hält die Illusion bis wir die Portalstrecke aufgebaut haben.
   Schweigend stapfen die Soldaten durch den Schnee. Knapp einundzwanzigtausend Männer und Frauen. Alle dicht an dicht gedrängelt um die Illusion aufrecht zu erhalten.
   Wenn wir jetzt aufliegen war es das. Sie könnten uns innerhalb eines Wimpernschlages zu Asche verwandeln. Aber nur so können die Magier schneller eine Strecke aufbauen. Würden wir einen Stoßtrupp vorschicken der ein Portal auf eine größere Entfernung hin aufbauen müsste, dann wären die ihnen schutzlos ausgeliefert. So können wir zumindest noch etwas Deckung geben. Hoffentlich funktioniert das.
   Er blickt zurück und beobachtet wie die Fußabdrücke der letzten Soldaten nach und nach vom Wind aufgewirbelt werden und verschwinden. Daran haben sie also auch gedacht.

Angekommen. Die Spitze der Truppen hat sich am Fuß des Hortes gesammelt. Knapp dreihundert Fuß entfernt, beobachtet Reth wie Hochmagier Aros und eine weitere Magierin sich nach oben katapultieren und den Fels erklimmen.
   Diese Frau … irgendwoher kenne ich sie. Verdammt, das ist diese Wahnsinnige mit den Blitzen. Dann muss sie auch eine Hohemagierin sein. Ein Schauder läuft ihm über den Rücken.
   Zur Ablenkung beobachtet er den Himmel. Niemand hat uns bisher bemerkt, sie rechnen wirklich nicht mit einem Angriff.
   Die beiden Hohemagier haben ihr Ziel erreicht und huschen langsam über den Rand außer Sicht.
    „Jetzt geht’s los. Macht euch bereit Männer“, flüstert er leise zu seinem Trupp.
   Vorsichtig richten die ihre Rüstungen und Waffen und zu Reth eigenen Erstaunen, erklingt fast kein Geräusch dabei. Weiter vorne öffnet sich langsam das Portal.
   Es ist immer noch ruhig.
   Noch ehe sich das Portal vollständig aufgebaut hat, springen die ersten Soldaten hindurch.
   Bald sind wir dran. Sie haben uns immer noch nicht …
   In diesem Moment erklingt ein gewaltiges Dröhnen und eine riesige Feuerlanze schlägt von der anderen Seite durch das Portal hindurch.
   Nein!
   Sämtliche Soldaten vor dem Portal werden mit einem Schlag zu Asche verbrannt. Die heftige Hitzewoge zwingt Reth dazu in die Hocke zu gehen.
   Überall um ihn herum brüllen Soldaten „Verteilt euch!“ „Zur Seite!“
   Während er noch versucht auf die Beine zu kommen. wird er direkt wieder von einer weiteren Druckwelle umgeschmissen. Schnell dreht er sich um und kann gerade noch mit ansehen wie eine heftige Explosion von dem Portal ausgeht und es in Stücke reißt. Mit ihm die umstehenden Magier und Soldaten. Schnell kommt er wieder auf die Beine und im Laufen sieht er wie eine wahre Flut von Drachen aus dem Haupttunnel kommt und über das Plateau hinausschießt. Heftige Blitze verfolgen sie und durchschlagen hunderte von ihnen.
   Also leben da oben noch einige.
   Der Himmel füllt sich mit immer mehr und mehr Drachen. Eine Bombardierung kommt offensichtlich nicht in Frage, denn ein Drache nach dem Anderen stürzt in die Tiefe und schleudert Feuerwogen in die Truppen unter ihm.
   „Zu den Barrieren!“, brüllt er ohne ein bestimmtes Ziel im Blick zu haben. Hecktisch sieht er sich um und entdeckt sie. Von mehreren Soldaten gehaltene Schilde, von denen einen Blau-Schwarze Barriere ausgeht. Unter ihnen versammeln sich Soldaten, um die darüber fliegenden Drachen ins Visier zu nehmen. Schnell rennt er zur nächsten Barriere. Aber ehe er sie erreichen kann, stürzt ein Drache hinab auf das Schild und zermalmt die Träger unter sich.
   Verfluchte … dann halt ohne Barriere.
   Doch gerade als Reth seine Armbrust anlegen will, reißt ihn eine weitere Explosion zu Boden. Hustend und fluchend wühlt er sich aus dem Schnee und Matschhügel heraus, in dem ihn die Druckwelle geschleudert hat.
   Scheiße, das war kein Geschoss.
   Vor ihm windet sich ein von mehreren Bolzen durschlagender Drache am Boden und brüllt vor Schmerzen. Schnell zieht er sein Schwert und hastet auf die Kreatur zu.
   Ein Kleiner, den schaff ich!
   Der Drache ist knapp doppelt so lang wie ein Mensch und hält sich mit seiner rechten Klaue, seinen vollkommen zertrümmerten linken Arm. Als er Reth bemerkt weiten sich seine Augen, vollkommen panisch versucht er auf die Hinterläufe zu kommen, aber schafft es nicht. Der Bolzen in seiner Hüfte sorgt für zu viele Schmerzen. Seine Flügel sind ebenfalls zu nichts mehr zu gebrauchen. Sie schlagen nur sinnlos in der Luft herum, während sie sein heißes Blut im Schnee verteilen. Er krallt seinen einzig noch gesunden Arm in den Schnee unter sich und versucht sich wegzuziehen.
   Reth hält in seinem Ansturm kurz inne. Er flieht? Vor mir? Aber er fängt sich schnell wieder und holt den Drachen nach wenigen Sekunden ein.
   Kurz bevor er ihn erreichen kann, schmeißt sich die Kreatur auf den Rücken und hält ihren rechten Arm schützend vor sich. Eine panische Stimme erklingt in seinem Kopf: „Nein! Bitte, bitte mach das nicht. Ich fleh dich an, bitte. Ich wollte nicht. Ich wollte nie kämpfen. Sie haben mich dazu gezwungen. Bitte, ich will zu meiner Mama! Sie sucht bestimmt schon nach mir. Ich kämpfe nicht mehr, bitte!“
   Vollkommen geschockt bleibt Reth stehen. Seine Augen sind bis zum Maximum geweitet. Nur ein Bruchteil von einer Sekunde vergeht, als sich ein wahnsinniges Lächeln in seinem Gesicht bildet und er zuschlägt … und zuschlägt. Wieder und wieder. Bis die panischen Schreie endlich verstummt sind.
   Schweißgebadet sieht sich Reth um. Überall um ihn herum kämpfen Menschen gegen Drachen. Viele der Drachen wurden auf den Boden gezwungen und zerreißen in ihrem Todeskampf Mensch für Mensch, ehe sie überwältigt werden können. Die Luft ist kochend heiß, überall schlagen Feuersäulen in den Boden ein und verbrennen dutzende von Soldaten. Kampfschreie und Schreie der Qual erklingen von allen Seiten. Mehrmals stößt ein Froststurm von unten hinauf in die Luft und lässt einen Drachen nach dem anderen gefrieren und zerschmettern, bis sich mehrere Feuersäulen sammeln und den Ursprungsort des Sturms vollkommen auslöschen. Es kommen auch keine Blitze mehr vom Plateau.
   Hektisch sieht Reth sich nach einer Armbrust rum, die Hand noch immer fest um das blutverschmierte Schwert versteift.
   Nur Leichen, überall nur Leichen. Warum liegen hier nur überall so viele Leichen rum?
   „Runter!“, erklingt es hinter ihm.
   Ohne drüber nachzudenken schmeißt er sich auf den Boden. Panische Schreie erklingen und als er sich in ihre Richtung wendet, sieht er Entsetzliches. Er muss mit ansehen wie sich eine Gruppe Soldaten hin und her schmeißt, während sich das Feuer durch ihre Körper frisst.
   Die Warnung war nicht für mich. Trotzdem kam sie zu spät … Ich will nach Hause, ich will zu Toris.
   Er sieht sich wieder um. Dabei entdeckt er eine halb verschmorte Armbrust, auf dem Körper eines Soldaten liegen. Schnell hastet er darauf zu. Der stinkende Qualm schlägt ihn ins Gesicht. Schwer hustend erreicht er die Leiche. Er zieht an der Waffe, aber sie steckt fest.
   „Verdammt lass los!“, wütend tritt er nach dem Toten. Mit einem heftigen Ruck schafft er es endlich die Armbrust zu befreien. Dabei wippt der Kopf des Soldaten zur Seite und blickt Reth an.
   Toris? Toris bist du das? Er reibt sich die verrußten Augen. Das kann nicht sein. Du kannst nicht Toris sein. Toris hat braunes Haar. Nein, er hat blondes Haar. Du aber hast? Welche Haarfarbe hast du?
   Mühselig zieht er am Helm des Soldaten. Es dauert Ewigkeiten bis er ihn endlich ab hat.
    Das bist du doch nicht? Nein, du bist in Steinhafen oder bist du hier? Habe ich dich durch das Portal gehen gesehen?
   Er lässt die Armbrust fallen.
   Verdammt nochmal.
   Als er versucht die Waffe wieder aufzuheben, schafft er es nicht. Sie fällt ihm wieder und wieder aus den Händen. Sie sind voller Schweiß, Matsch und Blut. Schluchzend geht er in die Knie.
   Ich will nicht mehr.
   In diesem Moment ertönt ein gewaltiges Brüllen. Es erschüttert die gesamte Erde. Hoch oben am Rand des Gebirges taucht eine Bestie auf, die selbst den Riesen, der über Steinhafen gekämpft hat, wie einen kleinen Welpen wirken lässt. Als er seine gewaltigen Flügel spreizt verfinstert sich die Welt. Entsetzen breitet sich auf der Ebene aus, als sich die Kreatur in die Tiefe stürzt.
   Das war es endgültig. Wir sind verloren.
   Resigniert blickt Reth zu Boden.
   Wie sollen wir dagegen kämpfen? Unmöglich. Ich will nicht mehr.
   Mit zitternden Händen greift er nach seinem Schwert.
   Toris, verzeih mir. Ich komm zu dir.
   Und mit diesen letzten Gedanken rammt er sich die Klinge in die Kehle.

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