„Ja Sir, ich bin
gerade aus dem Parkhaus raus. In zehn Minuten bin ich da. Es tut mir Leid, da
war ein Unfall auf der A6, ich konnte nicht rechtzeit … Natürlich Sir, die Verträge
habe ich dabei. Ich bin sofort da…“
Aufgelegt, fuck. Warum muss ich ausgerechnet
heute verschlafen?
Eilig läuft der
gut gekleidete junge Mann durch die Menschenmengen. Nun ja, theoretisch gut
gekleidet. Das Hemd ist zerknittert und der Rest vom Anzug sitzt vorne und
hinten nicht richtig. Die Krawatte hängt ebenfalls schief in der Luft. Kein
Wunder wenn man nur fünfzehn Minuten Zeit hat zum Anziehen. Während er sich
durch die Menschenmasse des frühmorgendlichen Geschäftsbezirkes hindurchschlängelt
probiert er mühselig seine Haare unter Kontrolle zu bekommen, was ihm ohne Gel
sichtlich schwer fällt.
Eine rote Ampel bremst ihm notgedrungen ab.
Ach komm schon!
In seiner
aufgezwungenen Pause lässt er seinen Blick genervt über die Menschen auf der
anderen Straßenseite schweifen.
Ja super, ihr könnt weiterlaufen. Wow, wer
ist das denn? Sein Blick hängt an einer Blondine fest, wobei der braune
Haaransatz diesen Punkt direkt Lüge straft. Sie ist knapp in seinem Alter und
trägt ein für diesen Bezirk so übliches Business Kostüm.
Oder ein Kleid
mit Korsage? Arg, mein Kopf. Ja, sie
trägt ein Kleid. Es passt perfekt zu ihrem breiten Hut, der ihre braunen Haare
bedeckt. Jetzt bemerkt sie ihn und beginnt freudig zu winken.
Meint sie mich? Kennen wir uns etwa?
Eine Kutsche
blockiert kurz seine Sicht auf sie. Eine
Kutsche? Was zum…? Was macht die denn hier in der Innenstadt?
„Extrablatt! Extrablatt!
Unruhen in Sarida. Über dreißig Menschen wurden auf dem Platz der Reformation
getötet! Sir, Sir, möchten sie eine Zeitung kaufen?“
Nun vollkommen
verwirrt dreht er sich zur Seite und starrt den freudig lächelnden Burschen an,
der ihm eine seiner Zeitungen ins Gesicht wedelt.
„Nein, ich…“, er
sieht wieder nach vorne und versucht die Frau wiederzufinden. Da ist sie ja! Die junge Frau ist
weitergegangen, aber er hat es doch noch geschafft einen Blick auf ihre blonden
Locken zu werfen ehe sie um die Ecke laufen konnte, „ich muss weiter. Tut mir
leid.“ Nur kurz dreht er sich zu den Jungen um und findet ihn nicht mehr.
Wo ist er denn hin? Egal.
Die Ampel ist
bereits Grün und er läuft ihr hinterher.
In seiner Tasche klingelt es. Nur kurz hält er inne und
schaut auf das Display. Natürlich ist es sein Chef. Schnell drückt er den Anruf
weg und läuft weiter in Richtung der nächsten Kreuzung. Gerade schaltet die
Ampel auf Rot, während sie die Straße überquert. Er hastet ihr hinterher. Kurz
sieht er zur Seite und erblickt zu seinem Entsetzen einen Bus angefahren kommen.
Verdammt, er wird sie erwischen.
„ACHTUNG rechts
von dir!“, brüllt er.
Verwirrt dreht
sie sich in die Richtung der Gefahr, doch zu spät. Der Drache erwischt sie aus
vollem Lauf. Mit einem kräftigen Biss reißt er ihr den Oberkörper vom Rumpf.
Nein.
Ihre Beine
straucheln noch kurz ehe sie zusammen brechen.
Nein!
Der Drache
bremst sich selbst ab indem er seine Klauen in die nächste Wand rammt.
NEIN!
Brüllend reißt
die Kreatur ihr blutverschmiertes Maul auf. Doch ein noch lauteres Brüllen
erschüttert die alten Wände um sie herum. Es ist so gewaltig, selbst der Drache
schreckt zurück. Nur flüchtig bemerkt der junge Mann: Es ist sein eigenes
Brüllen.
Er stürmt auf
den Drachen zu, die Hand so fest um die Klinge in seiner Hand gelegt, dass sie
anfängt zu bluten. Ehe der Drache überhaupt begreift was da gerade passiert,
ist der Mann bereits in der Luft. Schnell hält er sich an einen der langen,
nach hinten geschwungenen Hörnern am Kopf der Bestie fest und rammt ihr die
Klinge ins Auge, zieht sie hinaus und stößt wieder zu und wieder und wieder und
wieder. Sein Hass kennt keine Grenzen.
Als er den
Drachen loslässt gibt er bereits keinen Mucks mehr von sich. Vermutlich schon
seit Minuten nicht mehr. Verzweiflung durchströmt ihn. Langsam wankt er in ihre
Richtung und starrt auf ihren Körper, nun ja, das was davon übrig geblieben
ist. Erst ein lautes Hupen lässt ihn aufschrecken.
Fluchend lehnt
sich der Taxifahrer aus dem Fenster. „Verdammt, beweg deinen Arsch von der
Straße runter!“
Ein kurzer Blick
auf den Boden. Sie ist weg.
Wo ist sie? Was war das? Was geht hier vor?
Beschwichtigend
hebt der junge Mann die Hände in die Höhe und läuft schnell weiter auf die
Insel in der Straßenmitte. Noch ehe die Ampel wieder auf Grün springt rennt er
weiter, ihr hinterher.
Erst als er sie wieder sieht, wird er langsamer.
Wer ist sie? Soll ich sie ansprechen? Das
sollte ich, oder?
Bei einer
Boutique bleibt sie stehen und begutachtet die Kleider im Schaufenster. Langsam
geht er auf sie zu, als sie urplötzlich herumwirbelt. Ihre silberne Stoga dreht
sich direkt mit und strahlt regelrecht im Sonnenschein.
„Hey, sieh dir
diese Kreolen an! Würden die mir nicht stehen?“ Sie hält sie zur Vorführung an
ihre Ohren.
Er lacht auf.
„Dir würde alles stehen.“
„Hmpf, du bist
keine große Hilfe beim Einkaufen.“, gibt sie mit einem übertriebenen
Schmollmund zurück.
„Hab ich das je
behauptet?“
„Jaja, hey, sie
mal dahinten!“, und schon läuft sie wieder weiter zum nächsten Stand.
Er schüttelt nur
amüsiert den Kopf und bemerkt dabei nicht den dicken Händler in dessen
Stoffballen er fast hinein gelaufen wäre.
„Hey! Pass
gefälligst auf wo du hinläufst!“
„Oh, tut mir.
Ich war abgelenkt.“
Der alte Mann
schüttelt den Kopf und murmelt „Die Jugend von heute.“
Tz, als ob du dürrer alter Geier immer auf
alles achtest. Sekunde, war das der Gleiche? Stand da eben nicht noch sein
Zelt? Ach egal.
Er läuft ihr weiter
hinterher.
Nach einigen Minuten erreicht sie ihr Ziel, ein großes
und edles Hotel. Gerade als er die Drehtüren überwunden hat schlägt ihm ein
Farn ins Gesicht.
„Verfluchter
Dschungel, verfluchte Hitze.“
Sie hält inne.
„Hör auf zu meckern!“, faucht sie ihn an und rammt ihren Speer in den Boden.
Ihre Ledertunika ist schweißgebadet. „Du hast schließlich diesen Auftrag
angenommen!“
„Ich konnte doch
nicht ahnen, die Hatz würde uns über zwei Kontinente führen. Außerdem war die
...“
Abrupt gibt sie
ihm mit der Hand das Zeichen dazu still zu sein. „Hast du das gehört? Da kommt
etwas!“
Schnell kauern
sich beide hinter einen umgefallenen Baum hin und fixieren die Richtung, aus
der das Geräusch kam.
„Das tut mir so
leid“, Er schrickt zusammen, „habe ich sie etwa getroffen? Dieser Baum ist so
sperrig. Es tut mir wirklich leid.“
Verwirrt sieht
der junge Mann den Hotelpagen an. Der Junge plagt sich mit einem mannshohen
Kunstbaum herum.
„I, ist schon in
Ordnung. Mir ist nichts passiert.“
Schnell sieht er
sich nach der Frau um und entdeckt sie, wo sie gerade in den Aufzug steigt.
Jetzt oder nie. Er läuft los und
erreicht den Fahrstuhl ehe sich die Türen schließen.
Erleichtert stellt er sich neben die Frau und blickt
nervös und ganz vorsichtig zur Seite.
„Und willst du,
Tochter des Themis, diesen Mann der hier neben dir steht zu deinen Weggefährten
machen? Über seinen Körper, seinen Geist und sein Leben wachen? Genau wie über
seine Kinder?“
Was? Er sieht wieder nach vorne und
erblickt die milden Augen eines alten Greises. Sein gekrümmter Körper ist in
einem alten reich geschmückten Fell gehüllt.
„Willst du ihn
lieben und sowohl in guten wie in schlechten Zeiten an seiner Seite stehen?“
Der Blick des
jungen Mannes geht wieder zurück zu der Frau an seiner Seite. Auch sie ist in
einem reichlich geschmückten Pelz gehüllt und sie grinst.
„Auf ewig. Ja,
ich will.“ Und diese Worte wiederholt sie noch einmal, noch zehnmal, nein
hunderte Male, in fast jeder bekannten Sprache. Jedes Mal trägt sie dabei ein
anderes Kleid, mal eine Rüstung und mal auch nur ein paar Lumpen. Aber das
freudige Lächeln in ihrem Gesicht ist immer dasselbe.
„Dann erkläre
ich euch hiermit zu Mann und Frau!“
Erschöpft gerät
der Mann ins Wanken. Nur mühselig kann er sich auf den Beinen halten.
„Kya!“, presst
er hervor.
Dieses
einzigartige Lächeln breitet sich wieder in ihrem Gesicht aus. „Na endlich.“
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„Es existiert keine absolute Unsterblichkeit. Jedes
Wesen, ob nun Mensch, Drache, Geist oder Gott wird eines Tages sterben.
Natürlich gibt es viele Wege diesen Prozess hinaus zu zögern. Aber am Ende
wartet immer der Tod und dieser ist endgültig. Selbst unsere Erde konnte nur
wieder ins Leben finden mit dem Opfer unseres Mondes. Kein Wesen kann ewig in dieser
oder einer anderen Welt existieren!“
„Aber was ist
mit dem Mythos von Thato und Kya?“ Dieser Einwurf kam aus den hinteren Reihen.
„Angeblich existieren sie in jeder Generation. Unabhängig was geschieht finden
sie wieder zusammen, egal ob einer von ihnen stirbt. Ihre Seelen inkarnieren
und finden zueinander“
„Miss Dev,
gerade von einer so intelligenten Schülerin wie ihnen hätte ich mehr erwartet.
Sie haben es selbst gesagt. Es ist nur ein Mythos!“
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