Freitag, 29. März 2013

Unsterblich


 „Ja Sir, ich bin gerade aus dem Parkhaus raus. In zehn Minuten bin ich da. Es tut mir Leid, da war ein Unfall auf der A6, ich konnte nicht rechtzeit … Natürlich Sir, die Verträge habe ich dabei. Ich bin sofort da…“
   Aufgelegt, fuck. Warum muss ich ausgerechnet heute verschlafen?
   Eilig läuft der gut gekleidete junge Mann durch die Menschenmengen. Nun ja, theoretisch gut gekleidet. Das Hemd ist zerknittert und der Rest vom Anzug sitzt vorne und hinten nicht richtig. Die Krawatte hängt ebenfalls schief in der Luft. Kein Wunder wenn man nur fünfzehn Minuten Zeit hat zum Anziehen. Während er sich durch die Menschenmasse des frühmorgendlichen Geschäftsbezirkes hindurchschlängelt probiert er mühselig seine Haare unter Kontrolle zu bekommen, was ihm ohne Gel sichtlich schwer fällt.
   Ein kurzer Blick zum Himmel. Sind die aber Dunkel. Scheiße wenns jetzt auch noch anfängt zu regnen…

Eine rote Ampel bremst ihm notgedrungen ab.
   Ach komm schon!
   In seiner aufgezwungenen Pause lässt er seinen Blick genervt über die Menschen auf der anderen Straßenseite schweifen.
   Ja super, ihr könnt weiterlaufen. Wow, wer ist das denn? Sein Blick hängt an einer Blondine fest, wobei der braune Haaransatz diesen Punkt direkt Lüge straft. Sie ist knapp in seinem Alter und trägt ein für diesen Bezirk so übliches Business Kostüm.
   Oder ein Kleid mit Korsage? Arg, mein Kopf. Ja, sie trägt ein Kleid. Es passt perfekt zu ihrem breiten Hut, der ihre braunen Haare bedeckt. Jetzt bemerkt sie ihn und beginnt freudig zu winken.
   Meint sie mich? Kennen wir uns etwa?
   Eine Kutsche blockiert kurz seine Sicht auf sie. Eine Kutsche? Was zum…? Was macht die denn hier in der Innenstadt?
   „Extrablatt! Extrablatt! Unruhen in Sarida. Über dreißig Menschen wurden auf dem Platz der Reformation getötet! Sir, Sir, möchten sie eine Zeitung kaufen?“
   Nun vollkommen verwirrt dreht er sich zur Seite und starrt den freudig lächelnden Burschen an, der ihm eine seiner Zeitungen ins Gesicht wedelt.
   „Nein, ich…“, er sieht wieder nach vorne und versucht die Frau wiederzufinden. Da ist sie ja! Die junge Frau ist weitergegangen, aber er hat es doch noch geschafft einen Blick auf ihre blonden Locken zu werfen ehe sie um die Ecke laufen konnte, „ich muss weiter. Tut mir leid.“ Nur kurz dreht er sich zu den Jungen um und findet ihn nicht mehr.
   Wo ist er denn hin? Egal.
   Die Ampel ist bereits Grün und er läuft ihr hinterher.

In seiner Tasche klingelt es. Nur kurz hält er inne und schaut auf das Display. Natürlich ist es sein Chef. Schnell drückt er den Anruf weg und läuft weiter in Richtung der nächsten Kreuzung. Gerade schaltet die Ampel auf Rot, während sie die Straße überquert. Er hastet ihr hinterher. Kurz sieht er zur Seite und erblickt zu seinem Entsetzen einen Bus angefahren kommen.
   Verdammt, er wird sie erwischen.
   „ACHTUNG rechts von dir!“, brüllt er.
   Verwirrt dreht sie sich in die Richtung der Gefahr, doch zu spät. Der Drache erwischt sie aus vollem Lauf. Mit einem kräftigen Biss reißt er ihr den Oberkörper vom Rumpf.
   Nein.
   Ihre Beine straucheln noch kurz ehe sie zusammen brechen.
   Nein!
   Der Drache bremst sich selbst ab indem er seine Klauen in die nächste Wand rammt.
   NEIN!
   Brüllend reißt die Kreatur ihr blutverschmiertes Maul auf. Doch ein noch lauteres Brüllen erschüttert die alten Wände um sie herum. Es ist so gewaltig, selbst der Drache schreckt zurück. Nur flüchtig bemerkt der junge Mann: Es ist sein eigenes Brüllen.
   Er stürmt auf den Drachen zu, die Hand so fest um die Klinge in seiner Hand gelegt, dass sie anfängt zu bluten. Ehe der Drache überhaupt begreift was da gerade passiert, ist der Mann bereits in der Luft. Schnell hält er sich an einen der langen, nach hinten geschwungenen Hörnern am Kopf der Bestie fest und rammt ihr die Klinge ins Auge, zieht sie hinaus und stößt wieder zu und wieder und wieder und wieder. Sein Hass kennt keine Grenzen.
   Als er den Drachen loslässt gibt er bereits keinen Mucks mehr von sich. Vermutlich schon seit Minuten nicht mehr. Verzweiflung durchströmt ihn. Langsam wankt er in ihre Richtung und starrt auf ihren Körper, nun ja, das was davon übrig geblieben ist. Erst ein lautes Hupen lässt ihn aufschrecken.
   Fluchend lehnt sich der Taxifahrer aus dem Fenster. „Verdammt, beweg deinen Arsch von der Straße runter!“
   Ein kurzer Blick auf den Boden. Sie ist weg.
   Wo ist sie? Was war das? Was geht hier vor?
   Beschwichtigend hebt der junge Mann die Hände in die Höhe und läuft schnell weiter auf die Insel in der Straßenmitte. Noch ehe die Ampel wieder auf Grün springt rennt er weiter, ihr hinterher.

Erst als er sie wieder sieht, wird er langsamer.
   Wer ist sie? Soll ich sie ansprechen? Das sollte ich, oder?
   Bei einer Boutique bleibt sie stehen und begutachtet die Kleider im Schaufenster. Langsam geht er auf sie zu, als sie urplötzlich herumwirbelt. Ihre silberne Stoga dreht sich direkt mit und strahlt regelrecht im Sonnenschein.
   „Hey, sieh dir diese Kreolen an! Würden die mir nicht stehen?“ Sie hält sie zur Vorführung an ihre Ohren.
   Er lacht auf. „Dir würde alles stehen.“
   „Hmpf, du bist keine große Hilfe beim Einkaufen.“, gibt sie mit einem übertriebenen Schmollmund zurück.
   „Hab ich das je behauptet?“
   „Jaja, hey, sie mal dahinten!“, und schon läuft sie wieder weiter zum nächsten Stand.
   Er schüttelt nur amüsiert den Kopf und bemerkt dabei nicht den dicken Händler in dessen Stoffballen er fast hinein gelaufen wäre.
   „Hey! Pass gefälligst auf wo du hinläufst!“
   „Oh, tut mir. Ich war abgelenkt.“
   Der alte Mann schüttelt den Kopf und murmelt „Die Jugend von heute.“
   Tz, als ob du dürrer alter Geier immer auf alles achtest. Sekunde, war das der Gleiche? Stand da eben nicht noch sein Zelt? Ach egal.
   Er läuft ihr weiter hinterher.

Nach einigen Minuten erreicht sie ihr Ziel, ein großes und edles Hotel. Gerade als er die Drehtüren überwunden hat schlägt ihm ein Farn ins Gesicht.
   „Verfluchter Dschungel, verfluchte Hitze.“
   Sie hält inne. „Hör auf zu meckern!“, faucht sie ihn an und rammt ihren Speer in den Boden. Ihre Ledertunika ist schweißgebadet. „Du hast schließlich diesen Auftrag angenommen!“
   „Ich konnte doch nicht ahnen, die Hatz würde uns über zwei Kontinente führen. Außerdem war die ...“
   Abrupt gibt sie ihm mit der Hand das Zeichen dazu still zu sein. „Hast du das gehört? Da kommt etwas!“
   Schnell kauern sich beide hinter einen umgefallenen Baum hin und fixieren die Richtung, aus der das Geräusch kam.
   „Das tut mir so leid“, Er schrickt zusammen, „habe ich sie etwa getroffen? Dieser Baum ist so sperrig. Es tut mir wirklich leid.“
   Verwirrt sieht der junge Mann den Hotelpagen an. Der Junge plagt sich mit einem mannshohen Kunstbaum herum.
   „I, ist schon in Ordnung. Mir ist nichts passiert.“
   Schnell sieht er sich nach der Frau um und entdeckt sie, wo sie gerade in den Aufzug steigt.
   Jetzt oder nie. Er läuft los und erreicht den Fahrstuhl ehe sich die Türen schließen.

Erleichtert stellt er sich neben die Frau und blickt nervös und ganz vorsichtig zur Seite.
   „Und willst du, Tochter des Themis, diesen Mann der hier neben dir steht zu deinen Weggefährten machen? Über seinen Körper, seinen Geist und sein Leben wachen? Genau wie über seine Kinder?“
   Was? Er sieht wieder nach vorne und erblickt die milden Augen eines alten Greises. Sein gekrümmter Körper ist in einem alten reich geschmückten Fell gehüllt.
   „Willst du ihn lieben und sowohl in guten wie in schlechten Zeiten an seiner Seite stehen?“
   Der Blick des jungen Mannes geht wieder zurück zu der Frau an seiner Seite. Auch sie ist in einem reichlich geschmückten Pelz gehüllt und sie grinst.
   „Auf ewig. Ja, ich will.“ Und diese Worte wiederholt sie noch einmal, noch zehnmal, nein hunderte Male, in fast jeder bekannten Sprache. Jedes Mal trägt sie dabei ein anderes Kleid, mal eine Rüstung und mal auch nur ein paar Lumpen. Aber das freudige Lächeln in ihrem Gesicht ist immer dasselbe.
   „Dann erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau!“
   Erschöpft gerät der Mann ins Wanken. Nur mühselig kann er sich auf den Beinen halten.
   „Kya!“, presst er hervor.
   Dieses einzigartige Lächeln breitet sich wieder in ihrem Gesicht aus. „Na endlich.“

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„Es existiert keine absolute Unsterblichkeit. Jedes Wesen, ob nun Mensch, Drache, Geist oder Gott wird eines Tages sterben. Natürlich gibt es viele Wege diesen Prozess hinaus zu zögern. Aber am Ende wartet immer der Tod und dieser ist endgültig. Selbst unsere Erde konnte nur wieder ins Leben finden mit dem Opfer unseres Mondes. Kein Wesen kann ewig in dieser oder einer anderen Welt existieren!“
   „Aber was ist mit dem Mythos von Thato und Kya?“ Dieser Einwurf kam aus den hinteren Reihen. „Angeblich existieren sie in jeder Generation. Unabhängig was geschieht finden sie wieder zusammen, egal ob einer von ihnen stirbt. Ihre Seelen inkarnieren und finden zueinander“
   „Miss Dev, gerade von einer so intelligenten Schülerin wie ihnen hätte ich mehr erwartet. Sie haben es selbst gesagt. Es ist nur ein Mythos!“

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