Freitag, 29. März 2013

Wolfsmond


Elf Uhr. Mist, ich bin zu früh dran. Wer kann denn ahnen, dass ich heute so schnell durch die Stadt komme. Letztes Silvester hing ich fast eine halbe Stunde im Stau fest.
   Er holt zum wiederholten Mal sein Handy raus. Kai meinte sie würden erst gegen halb aufschlagen und ich kenn sonst nicht einen auf der Party.
   Er lässt den Kopf hängen und seine Schritte verlangsamen sich. Da kann ich mir ja auch Zeit lassen.
   Träge schaut er sich um. Die Party findet am Rande des Industriegebietes statt. Um ihn herum sind nur Lagerhallen und leere Stellflächen. Nur wenige Nachtschwärmer sind unterwegs. Die meisten von ihnen wollen auf die Party.
   Trotz der kaum vorhandenen Lampen kann man weit sehen. Vollmond und das heute. Das ist selten.
   Wer ist das denn? Sein Blick bleibt an einer Gestalt hängen. Sie hockt weit oben auf einen Hügel, am Waldrand. Sie sitzt dort vollkommen regungslos und starrt auf die Straße. Er hätte sie nicht einmal bemerkt wären da nicht die Anderen. Zwei, nein drei Schatten schleichen um sie herum.
   Mh, interessant.

Brutal knurren die Bestien ihn an.
   Das sind ja Hunde, riesige Hunde.
   Er wollte sich der Gestalt nähern und ist einen alten Waldpfad hochgewandert, bis sich ihm zwei dieser hüfthohen Bestien entgegen stellten. Beide haben ihre Zähne gefletscht und knurren ihn düster an.
   Langsam dreht er seinen Kopf nach hinten. Und da ist Nr. Drei.
  „Hey, ähm, könntest du deine Hunde zurück pfeifen?“ ruft er in Richtung des Hangs.

 Stille.

„Weder gehören sie mir, noch sind das Hunde“, kommt die verächtliche Antwort nach einiger Zeit.
   Eine Frau also. Er denkt kurz nach ehe er antwortet. „Dacht ich es mir. Hab auch noch nie so große Hunde gesehen. Kannst du dann deine Wolfsfreunde bitten mich zu verschonen?“
   Wieder vergeht einige Zeit bis die Antwort kommt und die Wölfe rücken immer näher.
   „Wieso sollte ich?“
   „Naja, ich bin Kettenraucher. Die armen Kleinen würden sich nur den Magen verderben.“
   Ein Kichern kommt aus der Dunkelheit. „Dann komm.“
   Die zwei Wölfe trennen sich und machen damit den Weg frei. Langsam geht er weiter, gefolgt von den Dreien, bereit ihn in Stücke zu reißen.

Am Rand des Waldes bleibt er stehen. Dort sitzt sie an der Kante des Hügels. Eine lange braunschwarze Mähne liegt auf ihrem Rücken. Sie starrt weiterhin nur hinunter auf die Straße. Beim Näherkommen bemerkt er ihren rechten Arm, der gelassen auf ihrem Knie ruht. Ihre Oberarme sind frei trotz der Kälte. Nur ihr Unterarm ist mit einer leichten Fellschicht bedeckt. Ihre Hände enden in Krallen. Gelassen setzt er sich neben sie und wagt einen kurzen Blick auf ihr Gesicht.
   Hübsch, auf eine wilde Art. Ihre messerscharfen Zähne sind leicht gebleckt. Keine 20, in etwa so alt wie ich. Er schaut wieder hinab auf die Straße.
   „Und? Was macht ihr hier oben?“
   „Wir suchen ein Opfer.“
   „Ein Opfer? Was wollt ihr denn jagen?“
   „Einen von euch“, gibt sie gelassen zu.
   Seine Stirn runzelt sich. „Warum?“
   „Jedes Jahr veranstaltet ihr diesen verdammten Krach und jedes Jahr reißen wir einen von euch die Kehle raus. Klingt doch fair oder nicht?“, grinst sie.
   Er legt den Kopf schief. „Weniger. Nun gut, dann bleib ich halt erst einmal hier.“
   „Warum?“
   Er zuckt mit den Schultern. „Irgendwer muss euch ja aufhalten.“
   Ein Kichern. „Und du glaubst, du könntest das? Du bist nur ein Mensch“, sie schnüffelt, „nicht einmal ein magiebegabter.“
   „Vermutlich nicht“, gibt er zu, „aber dann habt ihr zu mindestens euer Opfer.“
  „Ich dachte du schmeckst nicht?“
  „Eine Notlüge. Ich rauche nicht.“
   Zum ersten Mal sieht sie ihn an, einen unscheinbaren jungen Mann. „Du würdest dich für so etwas opfern?“, sie zeigt runter auf die Straße, wo gerade zwei Besoffene eine Gruppe Frauen bedrängt. Ständig versuchen sie eine der Frauen zu berühren oder zu umarmen.
   „Ich könnte da runter gehen und beide einfach abschlachten. Die würden es eh nie zu was bringen und die Welt wär mir bestimmt sogar dankbar dafür.“
   „Vielleicht hast du Recht, aber ich hab doch nicht den Weg hier rauf umsonst auf mich genommen. Also wenn ich schon hier bin, dann kann ich euch auch gleich aufhalten.“
   Sie schüttelt den Kopf. „Sie würden es nicht einmal bemerken. Kein Heldenbegräbnis, keine Mahnwache. In ein paar Tage würde man deine Leiche finden und behaupten dich hätt ein Tier getötet. Der Förster würde ein paar unschuldige Wölfe oder Bären erlegen und damit wär die Sache erledigt.“
   „Mhm gut. Mir würd so ein Tamtam eh nicht gefallen.“
   „Pff, da wärst du der ideale Kandidat für den dunklen Orden. Die sind genauso beknackt drauf wie du.“
   Seine Schultern zucken zur Antwort.
   Eine Zeit lang herrscht Stille zwischen den Beiden, ehe sie antwortet: „Nun gut, heute jagen wir nicht.“
   Er blickt sie kurz an. „Danke.“
   Und beide sehen wieder auf die silbererhellte Straße, bis das Feuerwerk beginnt.

Die Wölfe werden unruhig. Einer fängt an zu Jaulen und die zwei anderen halten sich die Pfoten über die Ohren. Neben ihm verzieht sich ihr Gesicht zu einer Grimasse. Er steht auf und ehe sie ihm nachsehen kann, spürt sie bereits seine Hände über ihre Ohren. Sie versteift sich bis sie bemerkt warum er das macht.
   Leise und doch für ihre guten Ohren hörbar flüstert er ein „Tut mir Leid“ zu und so verharren beide bis das Knallen endet.

Die Wölfe beruhigen sich. Langsam nimmt er seine Hände von ihren Ohren und setzt sich wieder neben sie.
   „Jetzt muss ich wohl dir danken.“
   „Nicht nötig, ich weiß ja was du bist.“
   „Mh?“
   „Du umgibst dich mit Wölfen. Du sagst sie gehören nicht dir und trotzdem gehorchen sie dir. Du führst ihr Rudel an. Auf deiner Haut breitet sich Fell aus und deine Sinne sind Schärfer als die eines jeden Menschens. Du hast Klauen und Reißzähne. Ich weiß was du bist!“
   Beide starren sich tief in die Augen.
   „Sag es! Ich will es hören, sag es!“
   „Ein Möter. Halb Mensch, halb Köter“
   Prustend schmeißt sie sich zurück und fängt lauthals an zu lachen und er stimmt mit ein.

Als sie sich beide wieder beruhigt haben nimmt er wieder das Gespräch auf: „Ok, aber jetzt mal ernsthaft. Was bist du? Wandler haben nur ihre tierische und ihre normale Gestalt. Ich habe noch nie von jemanden wie dir gehört. Also was, nein, wer bist du?“
   Sie wischt sich eine Träne vom Gesicht. „Mein Name ist Hati. Ich bin die jüngste Tochter Fenrirs.“
   „Odins Wolf?“
   Ihre Augen verengen sich. „Mein Vater gehört niemanden! Er existierte bereits tausende Jahre bevor Asgard überhaupt gebaut wurde. Die Tiere schufen ihn in ihrer Verehrung.“
   „Ach so, ich wusste gar nicht, auch Tiere haben Götter.“
   „Ja, es gab einige. Kurz vor Ragnarök verbündete sich mein Vater mit Odin und gemeinsam töteten sie Loki in der letzten Schlacht. Er blieb danach einige Zeit in Asgard und traf da auch meine Mutter Gyge.“
   „Gyge? Sie ist ein aufgestiegener Mensch, oder?“
   „Ja“, sie nickt.
   „Also dein Vater war ein Wolf und deine Mutter ein Mensch?“
   „Im Grunde ja, warum?“
   „Nichts, deine Mutter hat nur sehr komische Interessen….“
   Sie verpasst ihm einen so heftigen Hieb gegen den Hinterkopf, nur durch ihr Eingreifen stürzt er nicht in die Tiefe.
   „Bei Göttern läuft das anders ab, Verstanden?“
   Er reibt sich den Hinterkopf. „Jaja.“
   „Und überhaupt, du hast mir bisher auch noch nicht einmal deinen Namen gesagt. Wer bist du?“

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Und so begegneten wir uns das erste Mal. Sie ist launisch, aggressiv, bissig und tötet ohne mit der Wimper zu zucken. Trotzdem stehe ich seit zwanzig Jahren an ihrer Seite und bereue nicht eine Sekunde, dass ich mich damals neben sie gesetzt habe.
   Er schaut hinunter auf den Helm in seiner gerüsteten Hand. Mattschwarz, ohne Öffnung zum Atmen oder Sehschlitze.
   Es hat sich viel verändert. Nun gut, sie warten mit Sicherheit bereits auf mich.
   Langsam legt er den Helm an, der sich nahtlos mit dem Rest seiner schwarzen Rüstung verbindet. Lautlos tritt er aus der Dunkelheit.

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