Elf Uhr. Mist, ich
bin zu früh dran. Wer kann denn ahnen, dass ich heute so schnell durch die
Stadt komme. Letztes Silvester hing ich fast eine halbe Stunde im Stau fest.
Er holt zum
wiederholten Mal sein Handy raus. Kai
meinte sie würden erst gegen halb aufschlagen und ich kenn sonst nicht einen
auf der Party.
Er lässt den Kopf hängen und seine
Schritte verlangsamen sich. Da kann ich
mir ja auch Zeit lassen.
Träge schaut er
sich um. Die Party findet am Rande des Industriegebietes statt. Um ihn herum
sind nur Lagerhallen und leere Stellflächen. Nur wenige Nachtschwärmer sind
unterwegs. Die meisten von ihnen wollen auf die Party.
Trotz der kaum
vorhandenen Lampen kann man weit sehen. Vollmond
und das heute. Das ist selten.
Wer ist das denn? Sein Blick bleibt an
einer Gestalt hängen. Sie hockt weit oben auf einen Hügel, am Waldrand. Sie
sitzt dort vollkommen regungslos und starrt auf die Straße. Er hätte sie nicht
einmal bemerkt wären da nicht die Anderen. Zwei, nein drei Schatten schleichen
um sie herum.
Brutal knurren die Bestien ihn an.
Das sind ja Hunde, riesige Hunde.
Er wollte sich
der Gestalt nähern und ist einen alten Waldpfad hochgewandert, bis sich ihm
zwei dieser hüfthohen Bestien entgegen stellten. Beide haben ihre Zähne
gefletscht und knurren ihn düster an.
Langsam dreht er
seinen Kopf nach hinten. Und da ist Nr.
Drei.
„Hey, ähm, könntest du deine Hunde zurück
pfeifen?“ ruft er in Richtung des Hangs.
Stille.
„Weder gehören sie mir, noch sind das Hunde“, kommt die
verächtliche Antwort nach einiger Zeit.
Eine Frau also. Er denkt kurz nach ehe
er antwortet. „Dacht ich es mir. Hab auch noch nie so große Hunde gesehen. Kannst
du dann deine Wolfsfreunde bitten mich zu verschonen?“
Wieder vergeht
einige Zeit bis die Antwort kommt und die Wölfe rücken immer näher.
„Wieso sollte
ich?“
„Naja, ich bin
Kettenraucher. Die armen Kleinen würden sich nur den Magen verderben.“
Ein Kichern
kommt aus der Dunkelheit. „Dann komm.“
Die zwei Wölfe
trennen sich und machen damit den Weg frei. Langsam geht er weiter, gefolgt von
den Dreien, bereit ihn in Stücke zu reißen.
Am Rand des Waldes bleibt er stehen. Dort sitzt sie an
der Kante des Hügels. Eine lange braunschwarze Mähne liegt auf ihrem Rücken.
Sie starrt weiterhin nur hinunter auf die Straße. Beim Näherkommen bemerkt er
ihren rechten Arm, der gelassen auf ihrem Knie ruht. Ihre Oberarme sind frei
trotz der Kälte. Nur ihr Unterarm ist mit einer leichten Fellschicht bedeckt.
Ihre Hände enden in Krallen. Gelassen setzt er sich neben sie und wagt einen
kurzen Blick auf ihr Gesicht.
Hübsch, auf eine wilde Art. Ihre
messerscharfen Zähne sind leicht gebleckt. Keine 20, in etwa so alt wie ich. Er
schaut wieder hinab auf die Straße.
„Und? Was macht
ihr hier oben?“
„Wir suchen ein
Opfer.“
„Ein Opfer? Was
wollt ihr denn jagen?“
„Einen von
euch“, gibt sie gelassen zu.
Seine Stirn
runzelt sich. „Warum?“
„Jedes Jahr
veranstaltet ihr diesen verdammten Krach und jedes Jahr reißen wir einen von
euch die Kehle raus. Klingt doch fair oder nicht?“, grinst sie.
Er legt den Kopf
schief. „Weniger. Nun gut, dann bleib ich halt erst einmal hier.“
„Warum?“
Er zuckt mit den
Schultern. „Irgendwer muss euch ja aufhalten.“
Ein Kichern.
„Und du glaubst, du könntest das? Du bist nur ein Mensch“, sie schnüffelt,
„nicht einmal ein magiebegabter.“
„Vermutlich
nicht“, gibt er zu, „aber dann habt ihr zu mindestens euer Opfer.“
„Ich dachte du
schmeckst nicht?“
„Eine Notlüge.
Ich rauche nicht.“
Zum ersten Mal
sieht sie ihn an, einen unscheinbaren jungen Mann. „Du würdest dich für so
etwas opfern?“, sie zeigt runter auf die Straße, wo gerade zwei Besoffene eine
Gruppe Frauen bedrängt. Ständig versuchen sie eine der Frauen zu berühren oder
zu umarmen.
„Ich könnte da
runter gehen und beide einfach abschlachten. Die würden es eh nie zu was
bringen und die Welt wär mir bestimmt sogar dankbar dafür.“
„Vielleicht hast
du Recht, aber ich hab doch nicht den Weg hier rauf umsonst auf mich genommen.
Also wenn ich schon hier bin, dann kann ich euch auch gleich aufhalten.“
Sie schüttelt
den Kopf. „Sie würden es nicht einmal bemerken. Kein Heldenbegräbnis, keine
Mahnwache. In ein paar Tage würde man deine Leiche finden und behaupten dich
hätt ein Tier getötet. Der Förster würde ein paar unschuldige Wölfe oder Bären
erlegen und damit wär die Sache erledigt.“
„Mhm gut. Mir
würd so ein Tamtam eh nicht gefallen.“
„Pff, da wärst
du der ideale Kandidat für den dunklen Orden. Die sind genauso beknackt drauf
wie du.“
Seine Schultern
zucken zur Antwort.
Eine Zeit lang
herrscht Stille zwischen den Beiden, ehe sie antwortet: „Nun gut, heute jagen
wir nicht.“
Er blickt sie
kurz an. „Danke.“
Und beide sehen
wieder auf die silbererhellte Straße, bis das Feuerwerk beginnt.
Die Wölfe werden unruhig. Einer fängt an zu Jaulen und
die zwei anderen halten sich die Pfoten über die Ohren. Neben ihm verzieht sich
ihr Gesicht zu einer Grimasse. Er steht auf und ehe sie ihm nachsehen kann,
spürt sie bereits seine Hände über ihre Ohren. Sie versteift sich bis sie
bemerkt warum er das macht.
Leise und doch
für ihre guten Ohren hörbar flüstert er ein „Tut mir Leid“ zu und so verharren
beide bis das Knallen endet.
Die Wölfe beruhigen sich. Langsam nimmt er seine Hände
von ihren Ohren und setzt sich wieder neben sie.
„Jetzt muss ich
wohl dir danken.“
„Nicht nötig,
ich weiß ja was du bist.“
„Mh?“
„Du umgibst dich
mit Wölfen. Du sagst sie gehören nicht dir und trotzdem gehorchen sie dir. Du
führst ihr Rudel an. Auf deiner Haut breitet sich Fell aus und deine Sinne sind
Schärfer als die eines jeden Menschens. Du hast Klauen und Reißzähne. Ich weiß
was du bist!“
Beide starren
sich tief in die Augen.
„Sag es! Ich
will es hören, sag es!“
„Ein Möter. Halb
Mensch, halb Köter“
Prustend
schmeißt sie sich zurück und fängt lauthals an zu lachen und er stimmt mit ein.
Als sie sich beide wieder beruhigt haben nimmt er wieder
das Gespräch auf: „Ok, aber jetzt mal ernsthaft. Was bist du? Wandler haben nur
ihre tierische und ihre normale Gestalt. Ich habe noch nie von jemanden wie dir
gehört. Also was, nein, wer bist du?“
Sie wischt sich
eine Träne vom Gesicht. „Mein Name ist Hati. Ich bin die jüngste Tochter
Fenrirs.“
„Odins Wolf?“
Ihre Augen
verengen sich. „Mein Vater gehört niemanden! Er existierte bereits tausende
Jahre bevor Asgard überhaupt gebaut wurde. Die Tiere schufen ihn in ihrer
Verehrung.“
„Ach so, ich wusste
gar nicht, auch Tiere haben Götter.“
„Ja, es gab
einige. Kurz vor Ragnarök verbündete sich mein Vater mit Odin und gemeinsam
töteten sie Loki in der letzten Schlacht. Er blieb danach einige Zeit in Asgard
und traf da auch meine Mutter Gyge.“
„Gyge? Sie ist
ein aufgestiegener Mensch, oder?“
„Ja“, sie nickt.
„Also dein Vater
war ein Wolf und deine Mutter ein Mensch?“
„Im Grunde ja,
warum?“
„Nichts, deine
Mutter hat nur sehr komische Interessen….“
Sie verpasst ihm
einen so heftigen Hieb gegen den Hinterkopf, nur durch ihr Eingreifen stürzt er
nicht in die Tiefe.
„Bei Göttern
läuft das anders ab, Verstanden?“
Er reibt sich
den Hinterkopf. „Jaja.“
„Und überhaupt,
du hast mir bisher auch noch nicht einmal deinen Namen gesagt. Wer bist du?“
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Und so begegneten
wir uns das erste Mal. Sie ist launisch, aggressiv, bissig und tötet ohne mit
der Wimper zu zucken. Trotzdem stehe ich seit zwanzig Jahren an ihrer Seite und
bereue nicht eine Sekunde, dass ich mich damals neben sie gesetzt habe.
Er schaut
hinunter auf den Helm in seiner gerüsteten Hand. Mattschwarz, ohne Öffnung zum
Atmen oder Sehschlitze.
Es hat sich viel verändert. Nun gut, sie
warten mit Sicherheit bereits auf mich.
Langsam legt er
den Helm an, der sich nahtlos mit dem Rest seiner schwarzen Rüstung verbindet.
Lautlos tritt er aus der Dunkelheit.
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