Donnerstag, 25. April 2013

Konzert 03 In Vollendung


„Wollen wir nicht weiter nach vorne?“, fragt Bea Mark ins Ohr.
   „Nur wenn du Ohrstöpsel dabei hast. Ich hatte schon einmal einen temporären Hörsturz und will da nichts riskieren. Außerdem verpasst du da vorne eine der besten Sachen“, erklärt er ihr nebulös.
   Die ersten Töne erklingen und schnell wird die Menge leise. Was sich sofort ändert, in dem Moment wo die Band die Bühne betritt. Lauter Jubel erfüllt die Halle als die Funkensprüher und die Knaller losgehen. Zu Beas Erstaunen scheinen die anderen Besucher sich bisher wohl zurückgehalten zu haben, denn jetzt tobt die Menge noch heftiger als bei den vorherigen Bands.
   Bei dem Lied ‚Zigeunerskat‘ beginnt das, worauf Mark gewartet hat: Drei Meter von ihnen entfernt machen sich einige Jungs Platz und formen einen breiten Kreis. „Ich komm gleich wieder“, brüllt er Bea ins Ohr und zeigt auf den Kreis.
   Sie hält ihm am Arm fest. „Was wird das?“
   Er grinst breit. „Ein Moshpit!“

   „Ah, warte, ich komme mit!“
   „Sicher? Das kann ziemlich ruppig werden. Nicht, dass du einen Ellenbogen ins Gesicht bekommst.“
   „Passt schon.“ Sie lächelt ihn an und schiebt ihn dabei in Richtung des Kreises.
   Dort sind bereits einige im Kreis und fangen wild an zu tanzen und sich zu stoßen. Es beginnt. Mark hat sich gerade durch die letzten Menschen vor dem Kreis gedrängt und da ist er schon mitten drin. Kurz hinter ihm ist Bea und kracht ihm lachend in den Rücken. Schnell kommen immer mehr in den Kreis und die Meute wogt hin und her.

Das Lied endet und langsam aber sicher löst sich der Moshpit wieder auf und wie durch ein Wunder, haben Mark und Bea es geschafft den Kreis zusammen zu verlassen.
   „Gott, bin ich durchgeschwitzt“, lacht Mark, während er sein Hemd oben aufknöpft um sich etwas Abkühlung zu verschaffen.
   „Ja, aber das war geil!“, stimmt ihm Bea vollkommen aus dem Häuschen zu.
   „Aber sowas von!“, ruft er ihr ins Ohr, inzwischen ist die Band längst wieder bei ihrem nächsten Song und er versucht den lauten Ton des Dudelsacks zu übertönen. „Du hast ja richtig Kraft in den Armen! Traut man dir gar nicht zu.“
   Feixend präsentiert sie ihm den Bizeps. Als sie erkennt welchen Song die Band angestimmt hat springt sie schnell herum und brüllt laut mit der Menge: „Küss mich!“
   Auch Mark konzentriert sich wieder auf die Bühne und bemerkt erst jetzt, dass sie einige Meter nach Links abgedriftet sind.
   Keiner der mir die Sicht versperrt, freut er sich innerlich.
   Da fällt ihm etwas ein und als er nach rechts sieht bemerkt er das Bea wohl nichts sehen kann. Vor ihr stehen mehrere große Kerle.
   „Hey, siehst du überhaupt was?“, ruft er ihr ins Ohr.
   „Nö, egal!“, antwortet sie ihm kurz angebunden.
   „Sicher?“, er sieht sich kurz um. Um sie herum wird sie wohl nirgendswo was sehen können. „Soll ich dich huckepack nehmen?“
   „Was?“, sie hört auf zu hüpfen und sieht Mark an.
   Er klopft sich selbst auf die Schulter. „Komm hoch, dann kannst du was sehen!“
   Sie sieht sich kurz um, ehe sie sich ein Herz nimmt und nickt.
   Grinsend geht Mark in die Hocke und sie steigt ihm vorsichtig auf die Schultern. Mit einem heftigen Ruck drückt er sich wieder hoch und Bea beginnt zu kreischen.
   „Das hast du mit Absicht gemacht!“, ruft sie wütend nach unten und verpasst ihm einen Klaps auf dem Kopf.
   „Infame Unterstellung!“, antwortet er und rückt sich ein wenig zurecht um bequem zu stehen.
   „Wow!“ Erst jetzt scheint Bea die Aussicht zu bemerken. Die Arme weit ausgestreckt brüllt sie aus vollem Herz „In Extremo!“
   Auch Mark widmet sich wieder dem Geschehen auf der Bühne.

Gerade als er vom Rhythmus des „Sternenregens“ getrieben seinen Kopf leicht zur Seite neigt entdeckt er etwas, was sein Herz zum Stillstand bringt: Narben. An Beas, im Rampenlicht erhellten, Oberschenkeln sind mehrere feine Narben. Narben in unterschiedlichen Größen und Formen. Wie betäubt starrt er ins Leere. Erst als Bea ihn auf den Kopf haut reagiert er.
   „Hörst du mich nicht?“, ruft sie erneut.
   „Wie? Was?“
   „Ich muss mal. Lass mich eben runter!“
   „Oh, ja“, antwortet er ihr und geht vorsichtig in die Knie.
   Schnell springt Bea runter und drängt sich in Richtung der Toiletten.
   Noch immer geschockt verfolgt er wie sie am Ende der Halle in einen der Gänge verschwindet. Als er sich wieder umdreht um wieder zur Bühne zu sehen, kann er an nichts anderes Denken. Die Musik dudelt beiläufig an ihm vorbei. Das hätte er niemals erwartet. Sie war zwar immer schon ruhig und vielleicht auch ein wenig traurig, aber das? Gerade jetzt, wo er sie näher kennen gelernt hat, hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Er schafft es einfach nicht, das eben gesehene mit den Bildern von ihrem Lächeln und den Geräusch ihres Lachens zu verbinden.
   Ein heftiger Schupser von hinten reißt ihn aus seinen Gedanken. Verwirrt dreht er sich um und sieht in ihr strahlendes Lächeln.
   „Na, hast du mich vermisst? Ich musst ja Ewigkeiten anstehen und wofür? Das ist ja Selbstmord sich dahin zu setzen“, angewidert verzieht sie das Gesicht.
   Das Wörtchen ‚Vergangenheit‘ geht ihm durch den Kopf und so fängt er sich wieder. Lachend antwortet er ihr mit erhobenen Zeigefinger: „Eine der goldenen Regeln: Es gibt niemals zu viel Papier.“

   Nach fast zweieinhalb Stunden und zwei weiteren Zugaben beendet In Extremo ihr letztes Lied und langsam aber sicher beginnen die Ersten sich in Richtung Ausgang aufzumachen.
   Als das letzte Bandmitglied die Bühne verlässt fragt Mark: „So, wollen wir uns auch mal aufmachen?“
   „Ja, ok. Wie spät ist es eigentlich?“
   Kurz sieht er auf sein Smartphone. „Zehn vor Zwölf.“
   „Echt? Schon?“
   „Du bist wohl noch ganz fit, oder?“
   „Ach geht so“, freudig wippt sie dabei auf und ab.
   „Hast du vielleicht Hunger? Wir kommen ja erst gegen halb Zwei zuhause an.“
   „Jetzt wo du es sagst“, sie hält sich den Magen, „ja.“
   Er lacht. „Ok, ich hab dahinten beim Ausschank doch auch einen Imbiss gesehen.“
   Vorsichtig drängeln sich die beiden durch die Masse zum anderen Ende der Halle hin. Am Imbiss angekommen bestellt Mark für beide ein Steakbrötchen. Da die Halle inzwischen deutlich leerer geworden ist, können beide gemütlich ohne Gedränge herauswandern. Draußen setzt sich Bea erst einmal auf die Mauer und beißt genüsslich in ihr Brötchen.
   „Und? Schmeckt es?“
   „Mh, geht so.“
   „Nicht so gut?“, er beißt selber rein um es zu überprüfen. „Irgendwas fehlt da. Schmeckt so lasch“, bestätigt er Bea.
   „Ja … einen Moment. Komme gleich wieder“, sagt sie und sprintet wieder zurück in die Halle.
   Verwirrt blickt ihr Mark hinterher.
   Nach knapp einer halben Minute kommt sie wieder angeflitzt. „Mach bitte kurz das Brötchen auf.“
   Ein wenig verwirrt hält er ihr sein Brötchen entgegen.
   Nachdem Bea ihres zur Seite gelegt hat holt sie eine Serviette hervor und öffnet sie.
   Neugierig betrachtet er den Inhalt. „Tomaten und Quark?“
   „Sour Creme“, korrigiert sie ihn. Mit geübten HendeHänden belegt sie fix sein Brötchen und hält es ihm entgegen. „Hier, versuch es noch einmal.“
   „Ok.“ Herzhaft beißt er rein. Grinsend bestätigt er ihr: „Hattest recht. Das war es!“
   Sie grinst nur zur Antwort.
   „Da kommt wohl dein kulinarisches Talent hervor, was?“
   „Ja, super, nicht wahr? Ich kann ein Steakbrötchen belegen. Da könnt ich doch glatt bei Subway anfangen“, antwortet sie ihm sarkastisch.
   „Hey, ich hab das ernst gemeint! Du wärst bestimmt eine klasse Konditorin. Um die Berufsschule musst du dir auch keine Sorgen machen. Wie gesagt, ich helfe dir, versprochen.“
   Nervös betrachtet sie ihn. „Ernsthaft?“
   „Natürlich. Glaubst du etwa ich verarsche dich?“, er hält kurz inne. „Weißt du was? Ich mach am Montag mal früher Schluss und komm bei euch vorbei. Dann kannst du mir mal deine Bewerbungsunterlagen zeigen und wir gehen die zusammen durch.“
   „Danke, ich weiß gar nicht wie ich dir danken soll.“
   „Ist doch keine Sache. Ich möchte nur, dass du deinen Traumjob findest.“
   Sie überlegt kurz. „Ist dein jetziger Job denn dein Traumjob?“
   „Ganz ehrlich? Als ich angefangen hatte ging es mir nur ums Geld. Ich wollte nur irgendwas machen, was mir richtig viel Asche einbringt … aber inzwischen? Ich liebe die Arbeit“, gesteht er ihr ehrlich.
   „Echt?“, sie verschlügt sich fast an ihrem Brötchen. „Entschuldige, aber du starrst doch den ganzen Tag nur auf Zahlen. Ist das nicht langweilig?“
   „Weißt du überhaupt was ich genau mache?“
   „Du arbeitest im Risikomanagement einer Bank.“
   „Ok, du hast also ein bisschen aufgepasst“, amüsiert lehnt er sich zurück, „und was genau macht man denn so im Risikomanagement?“
   „Also naja“, sie überlegt einen Augenblick, ehe sie antwortet: „Ihr überprüft Geschäfte und überwacht den Finanzmarkt. In etwa wie ein Maat, der einen Sturm beobachtet und Alarm schlägt wenn eine Welle droht das Schiff zu treffen oder es in die falsche Richtung steuert.“
   Erstaunt hebt Mark seine Augenbrauen. Gespielt klatscht er in die Hände. „Meinen Glückwunsch. Du bist das erste Mitglied unserer Familie, das begriffen hat was ich mache. Das trifft es recht gut.“
   Sie wird rot.
   „Aber sag mir: Klingt das für dich langweilig?“, fragt er Bea.
   „Irgendwie … nicht. Ok, gut du …“, ehe sie den Satz beenden kann unterbricht sie sich selber. Sie beobachtet gebannt wie eine Frau ein paar Meter von ihnen aus der Halle kommt.
   Die Frau hat sich wirklich in Schale geworfen: High Heels, Minirock, Korsage und ein Körper mit dem man das problemlos tragen kann. Ihre lange Mähne schwingt hinter ihr her. Weiter unterhalb der Halle trifft sie sich mit einer Gruppe, die wohl auf sie gewartet haben. „Sie dir die mal an“, flüstert sie leise zu Mark.
   „Mh? Ach, das ist Sonja. Ich würd euch ja einander vorstellen, aber sie kann mich nicht ausstehen.“
   „Du kennst sie? Woher?“
   „Sie ist eine Ex von mir. Hat nicht gerade gut geendet zwischen uns.“
   „Warum?“
   „Naja, wir hatten uns damals ganz zwanglos ein paar Mal getroffen. Nichts wirklich Festes. Ihr hatte es damals dann allerdings nicht so gefallen, dass ich was mit ihrer Nachbarin hatte.“
   Wütend sieht Bea ihn an. „Das würde wohl keiner gefallen.“
   „Weiß ich jetzt ja auch. Damals allerdings? Ich hatte keine Ahnung und habe es nicht wirklich verstanden. Was Beziehungen angeht war ich nie wirklich gut. Ich hab versucht mich bei ihr dafür zu entschuldigen, aber sie hat verständlicherweise komplett abgeblockt.“
   „Mh, scheinbar ist sie aber über dich hinweg“, sie zeigt runter auf die Gruppe, wo die Sonja gerade einen der Männer in der Gruppe umarmt und küsst.
   „Ja, sieht so aus. Gut so.“
   Bea beobachtet die Gruppe weiter. Gerade als sie sich auf den Weg machen murmelt sie traurig: „Wenn ich so ein Outfit nur auch tragen könnte.“
   „Warum? Du siehst doch klasse aus“, fragt er sie verwirrt.
   „Ja sicher. Wenn du das sagst …“
   „Das hab nicht nur ich gesagt. Auch die Kerle, die hinter uns standen. Die haben dir ständig auf den Arsch gestarrt.“
   Geschockt sieht sie ihn an. „Ernsthaft?“
   „Klar, hast du das etwa nicht mitbekommen?“, er kichert kurz, „ich musste die sogar finster anstarren, damit sie das lassen. Wär ich nicht da gewesen hätten dich bestimmt einige angebaggert.“
   Entgeistert glotzt sie ihn an. „Es hätten mich bestimmt einige angebaggert?“, wiederholt sie ungläubig seine Worte.
   „Ja. Sorry, wenn ich dir die Tour vermasselt habe, aber …“, er hält inne, als er Bea ins Gesicht schaut. Ein dümmliches breites Grinsen hat sich dort ausgebreitet. Er schüttelt nur seinen Kopf, ehe er zu ihr sagt: „Komm, lass uns losfahren.“

Die Fahrt nach Hause vergeht wie im Flug. Nicht nur weil Mark das Gaspedal bis zum Anschlug durchdrücken und der Audi so zeigen konnte was er wert war, sondern auch weil sich beide pausenlos unterhalten haben. Die Themen variierten von dem Konzert, über ihre sonstigen Hobbys, bis hin zu ihren Zukunftsplänen.
   So war es kein Wunder, dass Bea verdutzt fragt, „Oh, sind wir etwa schon da?“, als sie ihre Auffahrt sieht.
   „Ja, bei knapp zweihundertfünfzig Kilometern pro Stunde ist man recht schnell an seinem Ziel“, antwortet ihr Mark, während er die Auffahrt hochfährt und den Wagen zum Stehen bringt. „So, da wären wir.“
   „Ok, du kommst dann also am Montag vorbei? Um wie viel Uhr denn?“
   „Kann ich noch nicht genau sagen. Ich schätze mal so gegen sechszehn Uhr. Ich ruf vorher noch einmal kurz an.“
   „Gut. Nochmals vielen Dank für deine Hilfe.“
   „Kein Problem, aber weißt du? … Mir ist da eine Gegenleistung eingefallen die du machen könntest.“
   „Mh?“, sie betrachtet ihn von der Seite. Nervös spielt er mit dem Lenkrad, wobei er steif nach vorne sieht. „Schieß los.“
   „Ich, also, ich möchte dich darum bitten dir eine Bitte um einen Gefallen anzuhören.“
   Verwirrt sieht sie ihn an. „Eine Bitte um eine Bitte?“
   „Ja, diese Bitte ist sehr persönlich. Ich möchte nur, dass du dir meine Bitte vollständig anhörst. Das ist alles. Du kannst sie ablehnen oder auch einfach nichts dazu sagen und ich werde sie nie wieder wiederhohlen.“
   Jetzt wird sie nervös. Trotzdem sagt sie: „Gut, stell deine Bitte.“
   „Danke. Einen Moment“, hält er sie hin. Schnell holt er einen Notizblock und Stift aus der Fahrertür und schreibt schnell etwas auf. Als er fertig ist gesteht er ihr: „Ich … bei dem Konzert habe ich etwas gesehen. Als du auf meinen Schultern saßt da habe ich zufällig“, er hält inne und muss erst einmal seinen Mut sammeln, ehe er weiterspricht: „Ich habe deine Oberschenkel gesehen.“
   Bei diesem letzten Satz zuckt sie zusammen.
   Nervös betrachtet er sie aus den Augenwinkeln und beobachtet wie sich ihr gesamter Körper anspannt. Ihre Hand ist fest um den Türgriff des Wagens geklammert. Doch noch hat sie die Tür nicht geöffnet, also fährt er fort: „Ich kann verstehen wie du dich manchmal fühlst und warum du das machst. Manchmal da … da muss man fühlen, dass man noch lebt und zumindest irgendwas empfindet. Aber dieses Verlangen dir selbst zu schaden kann … es kann leicht nach hinten losgehen und dich vollständig vernichten. Vertrau mir da bitte. Ich habe es selbst erlebt. Du machst einen Fehler, rutschst einmal ab und schon … war es das. Ich möchte nicht, dass dir das passiert. Hier“, er legt den Zettel vor ihr aufs Armaturenbrett, „das obere ist meine Nummer und die darunter, die von einer Hilfsorganisation. Falls du noch einmal dieses Bedürfnis hast, möchte ich dich darum bitten eine dieser Nummern zu wählen und darüber zu reden.“
   Langsam senkt sich Beas Kopf und sie starrt den Zettel vor sich an. Es vergeht über eine Minute, ehe sie ihn fragt: „Du hast es selbst erlebt?“
   Er schluckt. „Ja. Weißt du von meiner ersten Freundin?“, fragt er sie.
   „Ja, mein Bruder hat mir beiläufig von ihr erzählt. Ihr wart zwei Jahre zusammen, ehe ihr Schluss gemacht habt, oder?“
   „Nein, sie hat Schluss gemacht“, antwortet er ihr verbittert. „Ich war damals siebzehn und total in sie verliebt. Ich hätte wohl alles für sie getan. Ein Lächeln von ihr war … unbeschreiblich. Aber dann hat sie mir einfach den Laufpass gegeben. Sie hat gesagt ich wäre ein Weichei und würde es nie zu etwas bringen“, er unterbricht sich. Diese Worte nagen noch immer schwer an ihm. „Sie wollte einen richtigen Mann. Daraufhin ist sie weggezogen und ich habe sie erst einmal nicht mehr gesehen …“
   Gerade als Bea ihm ihr Mitleid aussprechen will fährt er fort: „Ich war am Boden zerstört und habe mich in Selbstmitleid gesuhlt. An jedem Wochenende habe ich mich bis obenhin zugeschüttet. Ich weiß bis heute nicht genau warum, vielleicht in der Hoffnung ihr zu zeigen ich könnte doch etwas erreichen … ach keine Ahnung. Jedenfalls habe ich mich dann in unsere Uni eingeschrieben und BWL studiert. Knapp zwei Jahre sind vergangen, bis ich über einem entfernten Bekannten von ihr erfahren habe, dass sie nach Frankreich gezogen ist. Er konnte mir sogar ihre genaue Adresse sagen.“
   „Bist du etwa?“
   „Dumm wie ich damals war? Ja, in den Semesterferien bin ich für zwei Wochen nach Frankreich geflogen und habe dort Urlaub gemacht. Wobei ich im Grunde am Tag nach meiner Ankunft sofort zu ihr gegangen bin. Wohl mit Abstand einer der dümmsten Fehler meines Lebens. Wobei ich sie sogar angetroffen habe. Ich habe ihr sofort erzählt was ich erreicht habe, wie gut meine Klausuren waren und das sogar eine Bank Interesse an mir hätte. Ich habe sie angefleht wieder zurück zu mir zu kommen.“
   „Lass mich raten: Sie hat dich abblitzen gelassen?“
   „Wenn es das nur gewesen wäre. Sie hat mich ausgelacht …“
   „Oh …“
   „Und ihren Freund geholt, einen muskelbepackten Kerl im feinen Nadelanzug. Der hat mir dann gleich, für meinen Annäherungsversuch, die Fresse poliert.“
   „Oh Gott. Das tut mir so leid … was ist dann passiert?“, fragt Bea.
   „Du kannst dir denken: Ich war fertig mit der Welt. Ich habe mich in die nächste Kneipe geschleppt und habe gesoffen. Ich hab mir solange die Birne zugeschüttet, bis man mich rauswarf. Dann bin ich in die nächste Kneipe und habe weitergesoffen. Das ging solange bis ich am nächsten Morgen im Krankenhaus aufgewacht bin.“
   Geschockt schnappt Bea nach Luft.
   Mark lässt den Kopf hängen. „Einer der Kneipenbesucher, ich weiß bis heute nicht wer, hat mich halb bewusstlos in den Straßen gefunden und richtig reagiert. Er hat den Notdienst gerufen und sie haben mich sofort mitgenommen. Im Krankenhaus hat man mir den Magen ausgepumpt. Ansonsten wäre ich wohl an einer Alkoholvergiftung krepiert.“
   Es vergeht einige Zeit bis Bea ihre Stimme wiederfindet. „Scheiße, davon habe ich … ich habe davon nie etwas gehört.“
   „Kannst du auch nicht. Das Krankenhaus hat niemanden verständigt und so habe ich den Rest meines Urlaubes dort verbracht und bin dann wieder zurück nach Deutschland geflogen. Ich habe es bis heute niemanden erzählt.“
   Stille breitet sich aus.
   Nach einigen Minuten sagt Bea: „Ich … ich geh dann einmal rein. Danke.“
   „Wofür?“
   „Für den Abend, das du mir deine Hilfe angeboten hast, das du mir das erzählt hast, für alles.“
   Er zuckt mit den Schultern. „Kein Problem.“
Sie öffnet die Tür. Doch ehe sie aussteigt hält sie einen Moment inne, schnappt sich den Zettel und sagt kurz angebunden: „Bis Montag dann. Tschüss.“ Schon hat sie den Wagen verlassen und die Tür hinter sich zugeschlagen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen